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"Proteste waren vorab geplant"

Von Alexander Dworzak

Politik

Hoffen auf Entmachtung ägyptischer Militärs nach türkischem Vorbild.


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Wien. Eslam Omar, Passant Mahmoud und Iman Nabil sind sich einig: "Die Proteste gegen den Anti-Mohammed-Film sind vorab geplant worden. Von wem ist jedoch die große Frage." Bereits seit Juli ist der 14-minütige Clip zum Schmähfilm "Die Unschuld der Muslime" auf der Videoplattform YouTube online. Dass erst in den vergangenen Tagen der Sturm der Entrüstung folgte - der mittlerweile mehr als 30 Tote forderte - mutet ihnen seltsam an. In Ägypten, Tunesien und Libyen, also Ländern des "Arabischen Frühlings", habe es Demonstrationen gegen das Machwerk gegeben; nicht jedoch in anderen islamischen Staaten wie Saudi-Arabien - dessen Regime jegliches Aufkeimen der Revolution unterdrückte.

Zwischen Empörung über die Taten und Skepsis über die Hintergründe schwanken Omar, Mahmoud und Nabil im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Journalisten besuchen Wien mit sieben Kollegen, die den Arabischen Frühling mitgetragen haben. Auf Initiative der Agentur Skills und mit Unterstützung von Kanzleramt und Stadt Wien informieren sie sich über Demokratie, politische Institutionen und Österreichs Medienlandschaft. Die anwesenden Journalisten sind ein Spiegelbild der ägyptischen Protestbewegung: Konservative und Liberale, Säkulare und Religiöse.

Omar ist Innenpolitik-Redakteur der Online-Ausgabe von "Al Ahram", Ägyptens größter Tageszeitung. Diese ist mehrheitlich in Staatsbesitz, unabhängiger Journalismus sei nach seiner Darstellung dennoch möglich. Salafistische Prediger hätten die Demonstranten vor der US-Botschaft in Kairo gegen den mittlerweile berühmt-berüchtigten Film aufgewiegelt, ist Omar überzeugt: "Die meisten Protestierenden haben den Film nicht einmal gesehen."

"Familienschwierigkeiten"

Das oft angespannte Verhältnis zwischen Kopten und Muslimen in Ägypten sei durch den Film nicht gefährdet, wiegelt Omar ab - auch wenn er von koptischen und evangelikalen Christen produziert wurde. Überhaupt brächen Konflikte zwischen den beiden Religionsgemeinschaften lediglich bei "Familienschwierigkeiten" aus, meint Mahmoud. Sie arbeitet ebenso wie Nabil für die News-Plattform "RNN", mit mehr als zwei Millionen Anhängern auf Facebook. Entstanden ist "RNN" 2010, als ihr Gründer Amr Farrag zur Dokumentation der Fälschungen während der Parlamentswahl aufrief. Aus der Initiative wurde eine Säule des Arabischen Frühlings. Mittlerweile tragen rund 1000 Personen zum selbsternannten Bürgerjournalismus bei, setzen Live-Meldungen vom Tahrir-Platz ebenso ab wie Videos. Nicht immer ist die Authentizität der Informationen garantiert; an Verbesserungen wird gearbeitet, etwa mit Schulungen durch Mitarbeiter der Sender "Deutsche Welle" und "France 24".

Dass soziale Medien aus Arbeit und Alltag der jungen Journalisten nicht wegzudenken sind, ist auch fernab in Wien spürbar. Ununterbrochen blickt Nabil auf ihr Handy, sichtet Postings. "Wir kritisieren alle, Militär, Muslimbrüder und Liberale", vermeldet sie stolz. Erst vorige Woche sei die "RNN"-Seite auf Facebook von Anhängern des syrischen Machthabers Bashar al-Assad gehackt worden - ein Adelsprädikat. Die Mehrheit der Ägypter hoffe auf Assads Sturz. Dass er der religiösen Minderheit der Alawiten angehöre, während die meisten Syrer - ebenso wie die Ägypter - mehrheitlich Sunniten seien, spiele auch eine Rolle, ist Omar überzeugt.

Weit auseinander gehen die Meinungen der drei Journalisten bei der Beurteilung des Militärs. Omar betont die ungebrochene Popularität der Streitkräfte in der Bevölkerung. "Unter dem Militär ist die Lage schlimmer als unter Hosni Mubarak", kritisiert hingegen Mahmoud. Sie hofft auf eine ähnliche Entwicklung wie in der Türkei, deren moderat islamistischer Premier Recep Tayyip Erdogan die Generäle seit 2003 Schritt für Schritt entmachtet hat.

Die Chancen in Ägypten sind nicht schlecht: Im August setzte Präsident Mohammed Mursi kurzerhand den Chef des mächtigen Militärrats ab. Das Staatsoberhaupt, jahrzehntelanges Mitglied der Muslimbrüder, demonstrierte Stärke und Machtwillen. Pragmatismus herrsche hingegen im Verhältnis zu Israel, sind alle drei Journalisten überzeugt, weil Mursi die Arbeitslosigkeit in den Griff bekommen müsse. "Die Aufhebung des Friedensabkommens schafft nur neue Probleme. Dafür hat Mursi keine Zeit."

Satire-Zeitschrift provoziert

Neues Konfliktpotenzial tut sich unterdessen in Frankreich auf: Ungeachtet der Wutausbrüche wegen des Mohammed-Videos hat die Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo" neuerlich Mohammed-Karikaturen veröffentlicht. Das Magazin sorgte bereits 2006 mit ähnlichen Karikaturen für Aufregung; im November 2011 gingen die Redaktionsräume nachdem einer "Scharia"-Sonderausgabe mit einem "Chefredakteur Mohammed" in Flammen auf.