"WZ"-Gespräch mit dem Stuttgarter Politologen Oscar W. Gabriel. | Schwieriger Spagat zwischen Pragmatismus und Profilierung. | Beck auch nächster Kanzler-Kandidat. | Wien/Berlin. Der plötzliche Wechsel an der Spitze der SPD von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck zu seinem rheinland-pfälzischen Amtskollegen Kurt Beck wird ohne große Konsequenzen bleiben, ist sich der Stuttgarter Politikwissenschaftler Oscar W. Gabriel im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" sicher. Sein Argument: "Sowohl Platzeck als auch Beck sind moderate Sozialdemokraten, die mit den Grünen genauso wie mit den Liberalen eine funktionierende Gesprächsbasis haben."
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Nicht so eindeutig fällt dagegen die Antwort auf die Frage aus, ob Beck auch der richtige Parteichef ist, um die Sozialdemokratie programmatisch zu erneuern und die Worte mit den Taten wieder in Einklang zu bringen. Immerhin scheiterte Vor-Vor-Vorgänger Gerhard Schröder nicht zuletzt am innerparteilichen Widerstand gegen seine - von vielen als neoliberal empfundene - Reformpolitik im Arbeitsmarktbereich (Stichwort Hartz IV). Und auch jetzt mutet Becks Vor-Vorgänger Franz Müntefering als Vizekanzler mit seiner Forderung nach einer Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre der Parteibasis Schwerverdauliches zu.
Juniorpartner hat stets Profil-Probleme
Beck, so ist Gabriel überzeugt, muss in den kommenden Monaten sicher stellen, dass die notwendigen sozialpolitischen Reformen weitgehend reibungslos in der Regierung über die Bühne gehen. Das zwingt ihn und die gesamte SPD zu einem pragmatischen Verhalten abseits ideologischer Idealvorstellungen. Auf der anderen Seite erschwert die Rolle des Juniorpartners in der großen Koalition für die SPD die eigene politische Positionierung. "Und dies wird zwangsläufig in die innerparteiliche Forderung nach einer Schärfung des sozialdemokratischen Profils der SPD münden", beschreibt Gabriel den politischen Spagat, vor dem der neue SPD-Vorsitzende steht. Dass nun erneut ein "Provinzfürst" fernab vom politischen Machtzentrum in Berlin das Zepter in der Partei übernimmt, hält Gabriel dagegen für weit weniger bedenklich. Immerhin habe auch Alt-Kanzler Helmut Kohl von Rheinland-Pfalz aus den Weg an die Spitze der Republik angetreten. Allerdings: Dieser ist -nach erfolgloser Kanzler-Kandidatur von Franz-Josef Strauß - 1976 auf die harte Oppositionsbank nach Bonn gewechselt. Von daher hinkt der Vergleich mit Kohl ein wenig.
Beck brauche sich dennoch um seinen Führungsanspruch in der SPD keine Sorgen zu machen, glaubt der Stuttgarter Politologe. Zum einen gebe es zwischen den drei starken Männern der SDP - neben Beck sind dies Vizekanzler Müntefering und Klubchef Peter Struck - keine Konkurrenzsituation um die Nummer eins, was den Spielraum für innerparteiliche Illoyalitäten gegenüber dem neuen Vorsitzenden spürbar einenge. Zum anderen ist Beck einer der wenigen SPD-Politiker, die ihren Machtanspruch auf reale Wahlerfolge begründen können. Immerhin hat er mit Rheinland-Pfalz ein einstmals schwarzes Bundesland rot eingefärbt.
Keinen Zweifel hat Gabriel, dass Beck auch als SPD-Kanzler-Kandidat in die nächsten Wahlen geht. Nach den zahlreichen personellen Wechseln könne sich die Partei nicht noch einen neuen Spitzenmann leisten, ist er überzeugt.