Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron eckt mit seinen Reformideen für die EU an. Die Meinungen darüber, ob er damit die Gemeinschaft tatsächlich vertiefen kann oder neue Klüfte reißt, gehen auseinander.
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Es war einmal mehr die große Bühne, auf der Emmanuel Macron seinen Auftritt hatte. Ein hell erleuchtetes Rund, leicht erhöht und in der Mitte stehend der französische Staatspräsident, in der einen Hand das Mikrofon, mit der anderen gestikulierend. Rundherum, im Halbdunkel, saßen dutzende Staats- und Regierungschefs, Diplomaten, Vertreter der internationalen Gemeinschaft, Experten und hörten Macron zu, der am Dienstag das Pariser Friedensforum eröffnete.
Der Franzose sprach von der Vermittlerrolle, die Europa in der Welt übernehmen könne, vom "Labor des Multilateralismus", das der Kontinent darstellen müsse. Und er nutzte seine Rede auch gleich dazu, seinen Kritikern zu trotzen, die sein wiederholtes Vorpreschen mit Skepsis sehen. Macrons Konter: der Vorwurf der "Zimperlichkeit und Scheinheiligkeit". Diese funktionierten aber nicht. "Wir brauchen die Wahrheit", befand der Präsident.
Wie er diese sieht, hatte Macron einige Tage zuvor in einem Interview mit der britischen Zeitschrift "The Economist" dargelegt. Seine Äußerungen, wonach er dem transatlantischen Militärbündnis Nato den "Hirntod" bescheinigte, stießen dabei auf etliche Einwände. Er bezog sich dabei vor allem auf die Situation in Nordsyrien, wo der eine Nato-Partner - die Türkei - seine Truppen aufmarschieren ließ, nachdem der andere - die USA - seine Soldaten abgezogen hatte. Doch unabhängig vom Kontext gab es heftigen Widerspruch, unter anderem aus den osteuropäischen Staaten, aber auch aus Deutschlands. Während Bundeskanzlerin Angela Merkel die "drastischen Worte" rügte, bezeichnete Polens Premierminister Mateusz Morawiecki die Aussagen gar als "gefährlich".
Emmanuel Macron eckt an, und er provoziert. Seinen eigenen Angaben zufolge ist das aber kein Selbstzweck und soll nicht allein der Durchsetzung nationaler Interessen dienen, was den französischen Staatschefs immer wieder vorgeworfen wurde und wird. Macron findet vielmehr, wie er selbst betont, dass Europa Gefahr laufe, global mehr und mehr an Bedeutung zu verlieren, und daher "aufwachen" müsse.
Veto als Fehler
Als Heilmittel empfiehlt der Franzose Reformen, Reformen, Reformen. Ob für die Eurozone, im Verteidigungsbereich oder in der Erweiterungspolitik der EU. Die Union müsse sich vertiefen, ihre Integration vorantreiben. Dass er dabei oft erratisch agiert, scheint Macron nicht zu stören. Selbst dann nicht, wenn seine Entscheidungen von allen Seiten als Fehler bezeichnet werden.
Das war beim EU-Gipfel Mitte Oktober der Fall, als der Beginn von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien an Macrons Nein scheiterte. Obwohl die Kandidatenländer die Bedingungen für den Start der Gespräche erfüllt haben, stemmte sich der Präsident dagegen. Der gesamte Erweiterungsprozess gehöre reformiert, meinte er - ohne auszuführen, warum dies nicht parallel zu den Verhandlungen laufen könnte, die sich sowieso über Jahre ziehen.
Damit riskierte Macron aber, die Gemeinschaft als unzuverlässig dastehen zu lassen. Hinzu kommen Aussagen wie jene zur Nato, die auf mangelnde Sensibilität schließen lassen. Auch Übergriffigkeit ließe sich Macron durchaus nachsagen. Ein Beispiel dafür war seine Forderung an das EU-Parlament, eine Garantie für die Bestätigung seines zweiten Kommissarskandidaten abzugeben. Nachdem die erste Anwärterin für den Posten in der neuen EU-Kommission rund um Präsidentin Ursula von der Leyen im Abgeordnetenhaus abgelehnt worden war, wollte Macron Zusicherungen von den Mandataren, bevor er den nächsten Kandidaten nominierte.
Daher gehen die Meinungen darüber, ob der Politiker, der zur Präsidentenwahl vor zweieinhalb Jahren mit einem dezidiert europafreundlichen Programm angetreten war, die Vertiefung der EU fördern kann oder nicht doch eher neue Klüfte in die Gemeinschaft reißt, mittlerweile auseinander. Dennoch müssen auch Kritiker einräumen, dass Macron mit einigen Vorschlägen auf Schwachstellen in der EU zeigt, die es tatsächlich zu beheben gilt.
Sinkende Zustimmung
So ergibt ein Zusammenrücken in der Verteidigungspolitik, mehr Kooperation bei Forschungsprojekten ebenso Sinn wie der Ruf nach einem bestimmteren Auftreten in der Außenpolitik, wo die EU in Konfliktsituationen oft genug nur wie ein hilfloser Zuseher wirkt. Doch ob die Mitgliedstaaten unter französischer Anführerschaft die Reihen schließen, ist fraglich.
Aber auch im eigenen Land werden den Reformideen des Staatschefs Grenzen gesetzt, wie in der ausdrücklichsten Form in den Protesten der Gelbwesten-Bewegung zu sehen war. Die Zustimmungswerte in der Bevölkerung zu Macron bewegen sich zu dessen Halbzeit der Amtsperiode gerade einmal um die 34 Prozent.
Daher wird in anderen Hauptstädten immer wieder auf den innenpolitischen Druck verwiesen, unter dem Macron stehe - nicht zuletzt in Berlin, mit dem sich Paris auch weiterhin eng abstimmt. Dass die europapolitischen Forderungen des Franzosen allerdings nicht nur den Stimmungen in seiner Heimat geschuldet sind, ist der deutschen Kanzlerin klar. Auch ihren EU-Amtskollegen dürfte bewusst sein, dass Macron sie weiter fordern wird.