Den Haag - Nicht nur Slobodan Milosevic steht ab heute vor dem UNO-Tribunal in Den Haag. Die Hauptverhandlung gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten gilt zugleich als Bewährungsprobe für die Idee eines internationalen Strafgerichts auf dauerhafter Basis. Insofern steht vor dem Tribunal auch die internationale Gerechtigkeit auf dem Prüfstand.
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Milosevic ist der erste Staatschef, der für Verbrechen während seiner Amtszeit angeklagt wird. Der bisher ranghöchste Vertreter eines gestürzten Regimes, der sich vor einem internationalen Gericht verantworten musste, war Hermann Göring, der in Nürnberg 1946 zum Tode verurteilt wurde, vor seiner Hinrichtung aber Selbstmord beging.
Insgesamt 66 Anklagepunkte liegen gegen Milosevic vor, die sich auf Gräueltaten während der Kriege in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und im Kosovo beziehen. Er habe seine Pläne für ein Groß-Serbien mit der systematischen Vertreibung und Ermordung der nicht-serbischen Bevölkerung durchsetzen wollen, heißt es unter anderem. Im Zusammenhang mit dem Tod von Tausenden Muslimen in Srebrenica wird ihm Völkermord zur Last gelegt. Im Eröffnungsverfahren, das mindestens vier Monate dauern dürfte, soll es allerdings zunächst um den Vorwurf der brutalen Unterdrückung der Kosovo-Albaner in den Jahren 1998 und 1999 gehen.
Seit die Vereinten Nationen 1993 in Den Haag das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien errichteten, haben die Ermittler Beweismaterial gegen Milosevic zusammengetragen. Die UNO-Ankläger wissen sehr wohl, was in diesem Prozess auf dem Spiel steht. "Wenn sie verlieren, wäre das ein Desaster", kommentiert Avril McDonald vom mit Rechtsfragen befassten Haager Asser-Institut. Die Chancen für ein dauerhaftes internationales Strafgericht würden damit vermutlich zunichte gemacht.
Unterdessen kommt das 1998 in Rom beschlossene Abkommen für einen solchen Gerichtshof seiner Verwirklichung immer näher. Mit den Unterschriften von Portugal und Ecuador in der vergangenen Woche haben 52 Staaten den Vertrag ratifiziert, so dass für ein In-Kraft-Treten nur noch acht fehlen. Gegner eines internationalen Strafgerichts sind vor allem die Vereinigten Staaten, die bereits mit Blockademaßnahmen gedroht haben.
Die Haager UNO-Ankläger haben denn auch eingeräumt, im Prozess gegen Milosevic gewaltig unter Druck zu stehen. Gleichzeitig betonen sie aber, dass der Fall ausschließlich nach dem Buchstaben des Gesetzes behandelt werde. "Einerseits handelt es sich hier natürlich um einen Prozess von großer historischer und juristischen Bedeutung, zumal Milosevic allgemein als Verursacher des Zusammenbruchs in Jugoslawien betrachtet wird", sagt Jean Jacques Joris, Sonderberater der Hauptanklägerin Carla Del Ponte. "Aber andererseits ist er ein einzelner Angeklagter, ein Individuum."
Die Verfechter der Idee eines permanenten internationalen Strafgerichts sehen den Milosevic-Prozess ebenfalls als Testfall. "Wenn das Verfahren offen und fair verläuft, wird dies ein entscheidendes Signal aussenden", sagt Richard Dicker, Rechtsexperte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. William Pace von der Koalition für ein internationales Strafgericht sieht einen Teilerfolg schon erreicht: "Ob Milosevic nun schuldig gesprochen wird oder nicht - allein die Tatsache, dass ein einstmals so mächtiger Herrscher vor Gericht gestellt werden kann, ist bereits eine enorme Leistung."
Und dies ist, wie Beobachter übereinstimmend betonen, natürlich auch ein weit reichendes Signal für alle anderen Mächtigen, denen Verbrechen gegen die Menschheit zur Last gelegt werden.
Milosevic könnte im Fall einer Verurteilung seine Haftstrafe in Österreich abbüßen, sagte Tribunalsprecher Jim Landale. Außer mit Österreich gebe es Abkommen über die Aufnahme von Gefangenen noch mit Italien, Finnland, Norwegen, Schweden, Frankreich und Spanien.