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Prozess gegen Timoschenko überraschend auf Eis gelegt

Von Gerhard Lechner

Europaarchiv

Verfahren für zwei Wochen ausgesetzt. | Übte EU Druck auf die Ukraine aus?


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Kiew. Eine überraschende Wendung nahm das Verfahren gegen die ukrainische Ex-Premierministerin Julia Timoschenko in Kiew: Richter Rodion Kirejew legte den Prozess am Montagabend für zwei Wochen auf Eis - eine Atempause für Timoschenko, die sich immer wieder über das schnelle Tempo des Prozesses beschwert hatte. Die Unterbrechung sieht sie als Anzeichen dafür, dass die Anklage wegen Amtsmissbrauchs gegen sie in sich zusammengefallen sei.

Und tatsächlich: Die Entscheidung wirkt, als sei das Gericht einigermaßen ratlos. Das Urteil war eigentlich für Freitag, spätestens für Montag erwartet worden. Dass nun plötzlich Timoschenko Zeit zur weiteren Vorbereitung gegeben wird, lässt politische Beobachter in Kiew vermuten, dass es hinter den Kulissen diplomatischen Druck auf die Ukraine gegeben haben könnte. Europa ist in Sorge, dass es zu einem "Schauprozess" gegen die prowestliche Politikerin kommt - davor hatte jedenfalls Österreichs Außenminister Michael Spindelegger seinen Kiewer Amtskollegen Konstantin Grischtschenko gewarnt. Und gute Beziehungen mit der EU dürften Grischtschenko am Herzen liegen, hatte doch Präsident Wiktor Janukowitsch angekündigt, der Außenminister müsse in diesem Jahr das Assoziierungsabkommen mit der EU, das im Dezember in Kiew unterzeichnet werden soll, unter Dach und Fach bringen. Gelinge das nicht, werde er entlassen. Es war wohl dieses für Janukowitsch so wichtige Abkommen, mit dessen Scheitern europäische Diplomaten gedroht haben könnten.

Hohe Schutzzölle

Ein EU-Abkommen wird in der Ukraine im Gegensatz zu einem Nato-Beitritt mehrheitlich gewollt. Man erwartet sich davon Erleichterungen bei Reisen nach Europa und eine Absicherung der ukrainischen Unabhängigkeit, die aufgrund der zahlreichen Verbindungen des Landes mit dem wesentlich größeren Russland als fragil betrachtet wird. Wirtschaftlich würde das Abkommen aber nur wenig bringen: Die Verzahnungen mit Russland sind weitaus stärker. Moskau sucht die Ukraine deshalb auch in die Zollunion mit Weißrussland und Kasachstan zu zwingen. Dabei hat der Kreml Anfang September mit hohen Zöllen auf ukrainische Waren den Druck auf Kiew und jene ostukrainischen Oligarchen, die Janukowitsch finanzieren, erheblich erhöht.