Der "Sinnlehrer" kannte nur zwei Rassen: "die Anständigen und die Unanständigen".
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Wien. Sein Fazit lautete: "Sinn muss gefunden werden, kann nicht erzeugt werden." Die Sinnfrage prägte Leben und Werk des großen "Sinnlehrers" Viktor Frankl, der vor 15 Jahren, am 2. September 1997 in Wien, wo er am 26. März 1905 in einer jüdischen Familie zur Welt gekommen war, gestorben ist. Jeder Mensch, so Frankl, könne einen letzten Sinn im Leben finden, sowohl der gläubige Mensch als auch der Atheist. In diesem Zusammenhang zitierte Frankl auch Nietzsche: "Wer ein Warum zu leben hat, verträgt fast jedes Wie".
Die von ihm auf Basis der Existenzanalyse begründete Logotherapie - nach der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Individualpsychologie Alfred Adlers die dritte Wiener Schule der Psychotherapie - ist hochaktuell. Das will auch die Logopädagogin Elisabeth Gruber in ihrem Festvortrag zum 15. Todestag, "Das Sinnlosigkeitsgefühl - die Herausforderung unserer Zeit", deutlich machen. Das Leiden am sinnlosen Leben nehme heute leider zu.
Schon mit 16 Jahren referierte Frankl an einer Wiener Volkshochschule zum Thema "Der Sinn des Lebens". Bereits als Medizinstudent und nach seiner Promotion 1930 als junger Arzt arbeitete er mit Erfolg in der Suizidprävention. In der NS-Ära ließ Frankl, damals Leiter der Neurologischen Station am einzigen jüdischen Spital Wiens, das ihm angebotene Visum zur Ausreise in die USA verfallen, um bei seinen Eltern bleiben zu können.
Als Frankl nach drei Jahren in vier Konzentrationslagern am 27. April 1945 die Befreiung und nach eigenen Worten seinen "zweiten Geburtstag" feiern konnte, waren seine Eltern, seine erste Frau Tilly und sein Bruder in NS-Lagern ums Leben gekommen.
Für Frankl war es "angewandte Logotherapie", die ihn das KZ-Leben ertragen ließ. Seine KZ-Erfahrungen schilderte er in dem Buch "Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager", das in späteren Auflagen den Titel "... trotzdem Ja zum Leben sagen" trug und weltweit neun Millionen mal verkauft wurde. Die "Library of Congress" in Washington zählte es zu den "zehn einflussreichsten Büchern" in Amerika. Frankl schrieb insgesamt 32 Bücher, die in 26 Sprachen übersetzt wurden.
1946 zum Primarius für Neurologie an der Wiener Poliklinik berufen, war Frankl ab 1961 in den USA, wo er fünf Professuren erhielt, ein gefragter Mann. Zahlreiche Auszeichnungen, darunter 29 Ehrendoktorate, wurden ihm zuteil. Der begeisterte Alpinist machte noch mit 67 Jahren den Pilotenschein und ging trotz Höhenangst bis ins hohe Alter in die Berge, um zu zeigen, "dass man stärker sein kann als die Angst und seinen inneren Schweinehund überwinden kann".
Den Gedanken einer "Kollektivschuld" der Deutschen und Österreicher an den NS-Verbrechen lehnte Viktor Frankl vehement ab. Zum NS-Rassismus sagte er: "Es gibt nur zwei Rassen von Menschen: die Anständigen und die Unanständigen." Gefährlich werde es dann, wenn die Unanständigen eine negative Auslese ans Ruder kommen lassen. Davor sei keine Nation gefeit, grundsätzlich sei jede "Holocaust-fähig".