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Psychisch unterversorgt

Von Petra Tempfer

Politik
© Adobe/Sonja Calovini

Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen zeigt psychische Symptome seelischer Belastungen. Bei einem Fünftel gibt es dringenden Handlungsbedarf.


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Wien. Erkennen Sie Ihr eigenes Potenzial, können Sie mit den Stresssituationen des Alltags umgehen und produktiv arbeiten? Dann sind Sie psychisch gesund, zumindest laut Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO. Bei Kindern und Jugendlichen zeige sich die psychische Gesundheit zudem in der Fähigkeit und Möglichkeit, ein erfülltes soziales Leben mit Freundschaften und liebevollen Beziehungen zu gestalten. Liebe und Arbeit, darin sah schon der Psychiater und Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud (1856-1939), die Eckpfeiler des Glücks.

Rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen kann nicht auf diese Eckpfeiler bauen. Sie zeigen im Laufe des Aufwachsens psychische Symptome seelischer Belastungen, so die Zahlen des Berichts zur Lage der Kinder- und Jugendgesundheit in Österreich. "Sie haben Einschlafschwierigkeiten, sind nervös, speziell bei Mädchen nehmen Selbstverletzungen zu", sagte Caroline Culen, klinische und Gesundheitspsychologin und fachliche Geschäftsführerin der österreichischen Kinderliga, am Mittwoch - dem Tag der seelischen Gesundheit. Der ständige Druck durch Soziale Medien, der Vergleich mit nicht erreichbaren Vorbildern (Role Models) und die wachsende Anzahl armutsgefährdeter Familien hätten die Situation verschlechtert, so Culen. Weitere Belastungen seien ein allgemeiner Leistungsdruck und Versagensängste. Bei einem Fünftel sei sogar dringender Handlungsbedarf gegeben.

Ausbau in der Versorgunggeht nur schleppend voran

Die Betroffenen bekommen die ärztliche Diagnose gestellt, dass sie eine Therapie brauchen, und es gäbe auch genug ausgebildetes Personal in Österreich - allein, die Therapien werden nicht ausreichend von den Kassen bezahlt. "20 Prozent der Menschen in Österreich sind Kinder", sagte dazu Christoph Hackspiel, Präsident der Kinderliga, "aber nur sechs Prozent der Gesundheitsausgaben kommen Kindern direkt zugute." Was die Kassenstellen für die Kinder- und Jugendpsychiatrie betrifft, so gibt es 27,5 Stellen in Österreich, wobei in der Steiermark und im Burgenland keine einzige existiert. Das ist eine leichte Steigerung gegenüber dem Vorjahr: Damals waren es 26,5 Kassenstellen.

Ein Ausbau in der Versorgung findet also statt, er schreitet aber extrem schleppend voran. Voll- und teilstationäre Behandlungsplätze gibt es aktuell rund 350.

Vom Plansoll ist man damit noch weit entfernt. Dem Strukturplan Gesundheit zufolge sind 0,08 bis 0,13 kinder- und jugendpsychiatrische Betten pro 1000 Einwohnern vorzusehen. Für Wien würde das 128 bis 208 Betten bedeuten, österreichweit wären es 860 Betten und 100 Kassenstellen.

Wien hat zwar angekündigt, dass es bei der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein "sehr massives Plus" geben werde - der Bedarf wäre damit aber immer noch nicht gedeckt. Im Moment gibt es in Sachen Kinderpsychiatrie in Wien nur am Rosenhügel und im AKH Versorgungskapazitäten, also 56 Betten und 20 Tagesklinik-Plätze. Das soll sich bald ändern. In drei der sechs KAV-Spitäler Wilhelminenspital und KH Hietzing, Rudolfstiftung und Kaiser-Franz-Josef-Spital sowie KH Nord und Donauspital soll je eine entsprechende Station angesiedelt werden - also je eine in den Versorgungsregionen West, Süd und Nord/Ost. Dazu kommen je Standort zwei Ambulatorien. In Summe sollen bis 2030 in Wien drei Stationen und sechs Ambulatorien für junge Patienten zur Verfügung stehen.

Um Engpässen bei Kindern und Jugendlichen schnell zu begegnen, würden noch bis Ende des Jahres 15 zusätzliche Betten in Hietzing und mit der Eröffnung des KH Nord 2019 noch einmal 24 Betten geschaffen, heißt es.

Volkswirtschaftliche Folgekosten um vieles höher

Wie viel der Versorgungsausbau kosten wird, steht laut Koordinator Ewald Lochner noch nicht fest. Verhandlungen mit der Wiener Gebietskrankenkasse und der Pensionsversicherungsanstalt liefen.

Die volkswirtschaftlichen Kosten bei mangelhafter Betreuung wären allerdings um vieles höher, so die Kinderliga. Der Landesrechnungshof Vorarlberg hat sich speziell jene jungen Menschen angesehen, die keinen Bildungsabschluss haben - und dadurch in die Risikogruppe fallen, psychische Probleme zu haben oder zu bekommen. Zehn bis 15 Prozent haben aktuell keinen Bildungsabschluss, mit entsprechenden Folgen: Laut Rechnungshofbericht kostet ein 15-Jähriger, der die Schule schmeißt und sich auch nicht in die Arbeitswelt integriert, den Staat im Laufe seines Lebens zwei Millionen Euro. Würde man hingegen für jeden der 10.000 Psychotherapeuten fünf Stunden pro Woche mit je 60 Euro finanzieren, könnte man vieles auffangen, betonte Culen.

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger will zumindest die Psychotherapie auf Krankenschein für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bis Ende 2019 ausweiten, kündigte dieser im August an. Die seit Jahren geforderte Maßnahme steht allerdings unter dem Damoklesschwert der im Parlament von den Koalitionspartnern beschlossenen "Ausgabenbremse".