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Psychokrieg um Platin-Mine

Von Alexander U. Mathé und Michael Schmölzer

Politik
Unmenschliche Bedingungen unter Tage: Rock Driller in Südafrika.
© © © Michael S. Lewis/CORBIS

Unternehmen droht mit Kündigung - Regierung unter Druck.
| Nerven liegen blank, Konzern setzt Ultimatum bis Dienstag.


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Marikana/Wien. Alle Augen sind auf die "Rock-Driller" gerichtet. Die Bergarbeiter stehen im Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen dem britischen Platinminenbetreiber Lonmin, dessen Arbeitern und der Polizei, die zu einem Blutbad mit 34 Toten geführt haben. Die "Rock Driller" arbeiten an vorderster Front und unter den härtesten Bedingungen. Sie sind es, die die Löcher ins Gestein hauen und das Meiste des dabei freigesetzten Staubs abbekommen. Und der ist oftmals tödlich. Setzt er sich fest, führt das zur Staublunge - Atemnot bis hin zu Krebs ist die Folge. Die "Rock-Driller" sind daher die treibende Kraft hinter den Streiks für bessere Arbeitsbedingungen.

"Du arbeitest so verdammt hart für fast kein Geld, es ist so wie der Tod", sagt ein Streikender, der nur seinen Vornamen - Thulani - nennen will, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Doch die 3000 Arbeiter werden offiziell gar nicht als Streikende anerkannt. Die größte und regierungsnahe Gewerkschaft NUM ist gegen die Arbeitsniederlegung. "Der Zeitpunkt, Forderungen zu stellen, ist schlecht gewählt", erklärt ein Sprecher der Minengewerkschaft gegenüber der "Wiener Zeitung". "Wir haben ein Abkommen mit Lonmin, das noch bis nächsten Juni läuft. Erst dann sollten wir Verhandlungen aufnehmen."

Gewerkschaft zerstritten

Dennoch ist am Montag die Mehrheit der 35.000 Beschäftigten bei Lonmin nicht zur Arbeit erschienen. Zurückzuführen ist dies nicht zuletzt auf Einschüchterungen und Gewaltandrohungen des harten Kerns. Zudem erhalten die Streikenden Unterstützung von einer zweiten, radikaleren, Gewerkschaft, der AMCU. Allerdings ist man hier intern zerstritten. Manche sind der Ansicht, dass der Streik illegal ist - wie Jimmy Gama, Finanzsekretär der AMCU. Zumindest er ist, wie die NUM-Funktionäre, dafür, dass die Arbeit wieder aufgenommen wird. "Natürlich wollen auch wir, dass die Arbeiter wieder zurück zur Arbeit gehen", so Gama zur "Wiener Zeitung". Zuletzt waren bei Kämpfen zwischen den großen Gewerkschaften zehn Menschen ums Leben gekommen.

Bereits vorige Woche hatte es von Seiten Lonmins geheißen, dass jeder, der am Freitag nicht zur Arbeit erscheine, entlassen werde. Diese Einschüchterung wirkte wenig: Die Deadline verstrich wirkungslos und wurde daher bis Montag verlängert. Nachdem auch zu Wochenbeginn lediglich ein Drittel der Belegschaft aufgetaucht ist, wurde das Ultimatum auf Dienstag erweitert.

"Die Sicherheit unserer Angestellten steht für uns an oberster Stelle", sagte der Finanzdirektor des Bergbau-Unternehmens. "Niemand muss sich zum Dienst melden, sollte die Polizei das als zu gefährlich einstufen." Allerdings hatte die Polizei da die Situation bereits als "sicher" eingestuft. Nun wurde das Ultimatum erneut verlängert: auf heute, Dienstag.

Über das Ultimatum der Firma ist die NUM empört "Die ganze Nation ist in Trauer. Den Arbeitern in dieser Situation auch noch zu drohen, ist lächerlich", so der Sprecher der Gewerkschaft. "Nach dem Massaker leiden viele noch an einem psychischen Trauma. Unter diesen Bedingungen ist es viel zu gefährlich zu arbeiten. Wenn einer während der Arbeit an das Geschehene denkt, kann das schwerwiegende Folgen haben, ist Gama von AMCU empört.

Bei Lonmin ist man unterdessen bemüht, sich angesichts des Fiaskos einen sozialen Anstrich zu geben: Man werde sich darum kümmern, dass die Kinder der am Donnerstag getöteten Arbeiter eine gute Schulausbildung bekämen, heißt es auf der Homepage des Unternehmens. Umgerechnet 400 Euro bekommt ein einfacher Arbeiter in der Mine - das ist der Mindestlohn, die streikenden Kumpel verlangen das Dreifache. Viele Familien stehen jetzt vor dem Ruin, da der in der Mine beschäftigte Mann meist zu 100 Prozent für das Familieneinkommen verantwortlich ist. Die Angehörigen der Getöteten sind mittellos. Sollte Lonmin seine Drohung wahr machen und am heutigen Dienstag alle Streikenden entlassen, wären tausende Familien vom gleichen Schicksal betroffen. Am Montag wurden rund 250 Minenarbeiter vor Gericht gestellt. Die Anklage lautet auf Mord, versuchten Mord und schwere Körperverletzung. Die Frauen der Verdächtigen sind verzweifelt und protestieren vor dem Gericht in unmittelbarer Nähe zum Betriebsgelände.

Bei Lonmin selbst ist man nicht bereit, den Lohnforderungen der Arbeiter nachzukommen. Hier verweist man - wie auch andere Unternehmen - auf die Krise, in der sich die Branche befinde. Allerdings hat der Streik den Platin-Preis auf der Börse auf ein Sechs-Wochen-Hoch getrieben. Eine Unze des Metalls wird mittlerweile um 1460 Dollar gehandelt. Eine direkte Stellungnahme Lonmins zu den jüngsten Ereignissen gegenüber der "Wiener Zeitung" ist ausständig. Man habe Mitarbeiter aus der Konzernzentrale in London nach Südafrika geschickt, um Details zu klären, hieß es auf telefonische Anfrage. Die Produktion in Marikana wurde entgegen anders lautenden Meldungen am Montag nicht wieder aufgenommen. Die Forderung der Konzernleitung, den Betrieb wieder voll aufzunehmen, war in Südafrika auf heftige Kritik gestoßen. Zudem dürften 30 Prozent der Belegschaft nicht ausreichen, um die Maschinen in vollem Umfang anzuwerfen, dafür, so heißt es, seien 80 Prozent notwendig.

Unterdessen gerät die Regierung unter Präsident Jacob Zuma immer mehr in die Kritik. Viele machen den regierenden ANC direkt für das Massaker verantwortlich, das am vergangenen Donnerstag 34 Menschen das Leben gekostet hat. So, wie das Apartheid-Regime für die Massaker der 70er- und 80er-Jahre verantwortlich sei, seien Zuma und der ANC nun schuld an dem jüngsten Blutbad. Unter dem ANC habe sich das Land von rassischer Apartheid in Richtung ökonomischer Apartheid bewegt, heißt es hier. Der ANC habe einen neoliberalen Kurs eingeschlagen, das jüngste Blutbad sei nun das Resultat, so die Kritik.

Die Regierung in Pretoria ist bemüht, die Wogen zu glätten. Ein Sprecher von Präsident Jacob Zuma hat eine Woche der Trauer ausgerufen und den betroffenen Familien Hilfe zugesagt. Eine Kommission untersucht, wie es zu dem Blutbad kommen konnte.

Der Vizepräsident von Lonmin, Mark Munroe, hat die Ereignisse ebenfalls bedauert. "Was geschehen ist, ist eine Tragödie. Der Schmerz und die Wut, die daraus entstanden sind, werde lange Zeit brauchen um zu heilen", so Munroe. Parlamentsabgeordnete aller Parteien werden heute, Dienstag, eine Gedenkveranstaltung in der südafrikanischen Volksversammlung abhalten, um den Opfern die Ehre zu erweisen.