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"Bush plant, die gesamte amerikanische Bevölkerung auf Geisteskrankheiten untersuchen zu lassen", behauptete das "British Medical Journal (BMJ)" in seiner Ausgabe vom 19. Juni. Ein System für verpflichtende Untersuchungen der mentalen Gesundheit wird derzeit ausgearbeitet. Die Kritiker sprechen von einem Albtraum, ausgeheckt von der pharmazeutischen Industrie, die Befürworter sehen darin einen "mutigen Plan von Präsident Bush, die letzten Barrieren niederzureißen", denen sich Behinderte gegenüber sehen.
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Obwohl die Idee, jeden auf geistige Gesundheit testen und behandeln zu lassen, vielen unglaubwürdig erscheint, existiert dennoch eine Verfügung, die Gesetzeskraft hat und somit keinen Beschluss des US-Kongresses benötigt. Auch in den USA ist der Öffentlichkeit diese Programm noch kaum bekannt. Entwickelt wurde es von der "Neue-Freiheit-Kommission des Präsidenten für mentale Gesundheit".
Mangelnde Sicherheit
Kritiker meinen, dass es lediglich dazu diene, der pharmazeutischen Industrie neue Kunden zuzuführen. Es könnte auch sein, dass dieser Plan die großflächige Förderung der neuesten, sehr kostspieligen psychiatrischen Medikamente vorsieht. Das Programm sieht nämlich ausdrücklich die Anwendung von Arzneien auf dem neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis vor. Und das obwohl erst kürzlich ein Skandal die mangelnde Sicherheit und Wirkung der am weitesten verbreiteten Arzneimittel, vor allem der Antidepressiva, aufgedeckt hat. Tödliche Nebeneffekte haben bereits zahlreiche Menschenleben gefordert.
Die letalen Nebeneffekte traten zwar in klinischen Versuchen auf, die Information darüber wurde aber unterdrückt und/oder verzerrt. Derzeit wird versucht, ein öffentliches Register von Testreihen und ihren Resultaten zu erstellen, ganz wichtige Informationen fehlen aber noch immer. "Keine Geheimniskrämerei bei Medikamententests", titelte "BusinessWeek" am 9. September, und berichtete, dass trotz der Registrierung "die Information für Konsumenten und Ärzte nach wie von den großen Arzneimittelherstellern stammt."
"BusinessWeek" verlangt mehr unabhängige Versuche und betont, dass eine Regierungsstudie ergeben habe, dass Hormon-Ersatz-Therapien für Frauen "das Risiko von Herz-Infarkt, Schlaganfall und Brustkrebs" erhöhen. Trotz der vielen Todesfälle, zu welchen die Unterdrückung und Verzerrung von Schlüsselinformationen geführt haben, wurde bis jetzt allerdings noch keine einzige Strafanklage gegen eine pharmazeutische Firma erhoben.
Keine Durchbrüche
"Ich finde, es hat seit den fünfziger Jahren nur sehr wenige ,Durchbrüche' auf dem Gebiet der Medikamente gegeben. Die qualitativen Fortschritte in den letzten 50 Jahren haben nicht mit der Aufgeregtheit darüber Schritt gehalten", sagt der führende britische Wissenschaftler und Psychiater David Healy, Autor des Buches "Let Them Eat Prozac"/Lasst sie Prozac einnehmen". Befragt, ob er damit sagen wolle, dass "die bedeutenden Durchbrüche dann eigentlich auf dem Gebiet der Werbung statt der Medizin" stattgefunden haben, antwortet der Wissenschaftler: "Ja, das glaube ich. Und das gilt auch für die Art und Weise wie sie (die pharmazeutischen Industrien) ihre Strategien mit Hilfe der Gesundheitsministerien in den USA und in Großbritannien durchsetzen - wie etwa den Bush-Plan.
Priorität für Medikamente
Während in den USA kein allgemeiner Zugang zur Gesundheitsfürsorge besteht, sieht der mentale Gesundheitsplan von Bush vor, dass "alle Amerikaner an den bestmöglichen Einrichtungen und Ergebnissen teilhaben werden, unabhängig von Rasse, Geschlecht und ethnischer Herkunft". Und die "Verschreibung von Medikamenten" hat Priorität ist ein Schwerpunkt des Planes.
Verpflichtende Untersuchungen erwachsener Amerikaner sollen routinemäßigen bei körperlichen Untersuchungen stattfinden, auch für Senioren; für die Jugend in den Schulen. Auch Vorschulkinder werden zur periodischen Untersuchungen aufgerufen werden.
Die Therapie mit Medikamenten wird als das Rückgrat der Behandlung dargestellt. ABC berichtete, dass amerikanische Kinder unter 5 Jahren die " am schnellsten wachsende Gruppe für anti-depressive Rezepte" sind. Associated Press (AP) reagierte am 15. September mit der Meldung, dass wissenschaftliche Berater der US Regierung raten, Antidepressiva "mit stärksten Warnungen" zu versehen, weil die so genannte Therapie "selbstmörderisches Verhalten bei Kindern und jungen Menschen bewirken kann".
Erstaunliche Abgabestellen
Dem Bush-Plan schweben nämlich erstaunliche Abgabestellen für Psychopharmaka vor: "Geistige Gesundheitserziehung und Training wird allgemeinen von Gesundheitsdiensten, Notfallstationen und ersten Ansprechstellen, wie der Polizei und Erste-Hilfe-Stellen zu leisten sein, um die ungleichmäßige geographische Verteilung von Psychiatern, Psychologen und psychiatrischen Sozialarbeitern auszugleichen." Diese Ausweitung der Abgabestellen außerhalb des medizinischen Systems kommentiert John Read, führender Experte für Psychopharmaka und Direktor der Abteilung für klinische Psychologie an der Universität von Auckland: "Es dreht sich doch nur darum, dass der Markt für die Pharmafirmen ausgeweitet wird." Und er warnt: "Die steigende Medikalisierung von Lebensproblemen und die massive Steigerung der Verschreibungen verschiedenster Psychopharmaka" sei nichts anderes als "soziale Kontrolle."
Strafdrohung für Eltern
In den USA können Eltern bereits jetzt strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie die Verabreichung von Psychopharmaka an ihre Kinder ablehnen. Ein Bericht vom 7. Juni in ABC wies darauf hin, dass Eltern "des Kindesmissbrauches, der Vernachlässigung oder verschiedener anderer Verbrechen in Bezug auf das Kind" angeklagt werden können, sollten sie wollen, dass ihr Kind ohne Psychopharmaka aufwächst.
Typischerweise hat die pharmazeutische Industrie enge Bindungen zu vielen jener, die den Bush-Plan ausgearbeitet haben.
Die Industrie spielte auch eine wichtige Rolle bei der Finanzierung eines Vorläufers, des Texas Medication Algorithm Projects (TMAP). TMAP begann 1995, als Bush Gouverneur von Texas war, als Gemeinschaftsprojekt von Leuten aus der Pharmaindustrie, der Universität von Texas und der staatlichen Abteilung für geistige Gesundheit.
Am 19. Juni berichtete das "BMJ", "die gleiche politisch-pharmazeutische Allianz, die das Texas Project hervorbrachte", stünde hinter den Empfehlungen der Neue-Freiheit-Kommission. Diese Allianz stünde "Gewehr bei Fuß", um die Anstrengungen des TMAP-Projektes in eine umfassende nationale Politik zu verbreitern, bei der Geisteskrankheiten mit teuren, patentierten Medikamenten von fragwürdigem Nutzen und tödlichen Nebeneffekten" zum Einsatz kämen.
"Irregeleitete Menschen"
Und zusammenfassend bemerkt Read: "Ich nehme an, es gibt einige Leute in der Verwaltung die ehrlicherweise glauben, dass diese Ideen
gut für die Menschen sind und die von den dunklen Zusammenhängen, den Orwell'schen Anspielungen und den riesigen Vorteilen für die Drogenhersteller keinen blassen Dunst haben. wohlmeinende, aber völlig irregeleitete Menschen."
Übersetzung Grit Ebner