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Pufferzone gegen Hamas

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Ägyptens Armee sprengt sämtliche Häuser, die weniger als 500 Meter von der Grenze zum Gazastreifen entfernt sind.


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Kairo. Explosionen, Rauchwolken, Häuser stürzen ein. Die Bilder erinnern an den Kampf um die syrische Stadt Kobane, wo sich seit Wochen Kurden und Mitglieder der Terrormiliz IS heftige Gefechte liefern. Doch dieses Mal detonieren die Sprengsätze in Ägypten und es sind auch nicht Terroristen, die sie zünden. Was gerade auf der Halbinsel Sinai geschieht, wird zwar Anti-Terrorkampf genannt, ist aber die Zerstörung von Lebensraum der Beduinen durch die ägyptische Armee.

48 Stunden bekamen die Bewohner der Grenzstadt Rafah Zeit, alle Häuser zu räumen, die näher als 500 Meter von der Grenze zum Gazastreifen entfernt liegen. Dann wurde Dynamit gebracht und die Gebäude flogen in die Luft. Ihre ehemaligen Bewohner sind skeptisch, ob sie jemals etwas von der zugesagten Entschädigung erhalten werden. Zunächst sind sie alle obdachlos und wissen nicht wohin, denn für Ersatzwohnraum hat niemand gesorgt. "Sie rächen sich jetzt an uns", sagt ein Beduine aus Rafah, der sein Zuhause verloren hat. "Das ist ungerecht".

Vor zehn Tagen sind über 30 Sicherheitskräfte bei zwei heftigen Angriffen auf Kontrollposten in den Mittelmeerstädten Al Arish und Rafah getötet worden. Seit über einem Jahr versucht die ägyptische Armee, den Terror im Norden der Halbinsel unter Kontrolle zu bekommen, ohne Erfolg. Bis jetzt hat sich niemand zu den neuerlichen Anschlägen bekannt. Viele verdächtigen Ansar Beit al-Maqdis ("Die Unterstützer Jerusalems"). Die im Februar 2011 auf dem Sinai gegründete Gruppe wird für zahlreiche Attentate auf Sicherheitskräfte verantwortlich gemacht. Die rund 1000 Kämpfer zählende Organisation steht in enger Verbindung mit den IS-Jihadisten. Auf deren Anführer Abu Bakr al-Baghdadi legte sie nun sogar einen Treueschwur ab.

Keine Beweise,

viele Verdächtigungen

Die Regierung in Kairo sieht die Schuldigen woanders: In den Verbündeten der gejagten und verbotenen Muslimbrüder - der Hamas im Gazastreifen. Ägyptens gleichgeschaltete Medien beschuldigen die Regierung in Gaza, militante Islamisten auf dem Sinai zu unterstützen, was Hamas vehement dementiert. Jetzt richtet die Armeeführung eine Pufferzone an der 13 Kilometer langen Grenze zum Gazastreifen ein. Wassergräben sollen den Bau von Tunneln künftig verhindern.

Von diesen selbst gegrabenen Versorgungsschächten lebte die Mehrheit der Einwohner von Raffah. Die Tunnel spielten auch eine wichtige Rolle im Alltag der Palästinenser, der durch die Blockade von Israel und Ägypten seit 2007 schwer belastet wurde. Schmuggelgüter aller Art wurden so auf die andere Seite transportiert. Dass dabei auch Waffen, Munition und militärische Ausrüstung waren, bestreiten die Grenzbewohner. Der Verdacht, dass die Tunnel auch in die andere Richtung genutzt wurden, wie die ägyptischen Sicherheitsbehörden vermuten, ist nicht bestätigt. Nach Aussagen von Polizisten, die auf dem Sinai ihren Dienst versehen, stammen Waffen, Munition und Ausrüstung getöteter Extremisten überwiegend aus Libyen und nicht aus den Beständen der Hamas.

800 Häuser wurden bereits dem Erdboden gleichgemacht

Bereits 800 Häuser sollen evakuiert und gesprengt worden sein, informierte der Gouverneur der Provinz Nord-Sinai, General Abdel Fattah Harhoor, am Wochenende. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hat am Sonntag ein Gesetz zum Schutz staatlicher Einrichtungen unterzeichnet. Dazu zählen auch Kraftwerke, Hauptstraßen und Brücken. Außerdem bekräftigte er einen dreimonatigen Ausnahmezustand im Norden und in der Mitte der Halbinsel. Kritiker sehen darin die Rückkehr des Militärs auf die Straße und die Wiederaufnahme von Militärgerichten für Zivilisten. Deren Abschaffung war eine der Hauptforderungen der Revolutionsbewegung im Frühjahr 2011. Einwohner im Nord-Sinai prophezeien eine Gewaltspirale, die durch die Aktionen der Regierung ausgelöst werde. Staatliche Willkür in Form von Zwangsräumungen ist gemäß der ägyptischen Verfassung eine Straftat. Diese wird jedoch immer mehr außer Kraft gesetzt. Ägypten nähert sich einer Militärdiktatur, in der Bürgerrechte nichts mehr gelten. Auch von den noch in diesem Jahr beabsichtigten Parlamentswahlen ist nun keine Rede mehr.