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Punkt geht an Generika

Von Veronika Eschbacher

Wirtschaft

Auslegung von Patentgesetzen und Zwangslizenzen setzen Branche zu.


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Neu Delhi. Unter den westlichen Arzneimittelherstellern geht Unbehagen um. Wie berichtet hat der Schweizer Pharmakonzern Novartis seinen Rechtsstreit in Indien um die Patentierung seines Krebsmittels Glivec verloren. Nun stellt man sich in der Pharmabranche einerseits die Frage, ob auf dem Milliardenmarkt Indien Investitionen und Patenteingaben noch Sinn haben. Andererseits fragt man sich aber auch, ob weitere Schwellenländer dem Beispiel und der Argumentation Indiens folgen werden und aus dem "Fall Glivec" ein wegweisendes Urteil wird.

Mit jedem nicht erteilten oder ausgelaufenen Patent verlieren Pharmakonzerne Milliardenumsätze. Bis 2015 sind etwa 40 Blockbuster-Medikamente - das sind Medikamente mit einem jährlichen Umsatz von mehr als einer Milliarde Dollar - von Abläufen von Patenten betroffen. Das bedeutet laut Angaben von Pharmig, dem Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, kumuliert bis 2015 einen Umsatzrückgang von etwa 130 Milliarden Dollar für die Branche. Im Schnitt werden 1,5 Milliarden Dollar und 13 Jahre Entwicklungszeit in ein neues Medikament investiert.

Im am Montag entschiedenen "Fall Glivec" zwischen dem indischen Patentamt und Novartis ging es vor allem um die Frage, wie "neu" - und somit patentwürdig - denn die eingereichte Version des Krebsmittels Glivec ist. Das indische Patentrecht fordert bei Medikamenten, die schon einmal zugelassen waren, eine "erhöhte therapeutische Wirksamkeit". So soll das sogenannte "Evergreening" verhindert werden, also die Verlängerung des Patentschutzes mit nur minimalen Veränderungen zu einem bereits vorher patentierten Wirkstoff. Die erhöhte therapeutische Wirksamkeit sahen die Höchstrichter nicht gegeben. In mehr als vierzig anderen Ländern hatte Novartis das Patent erhalten.

"Die Faktenlage ist: In Indien ist der Schutz für geistiges Eigentum für Medikamente niedriger als in den meisten anderen Ländern der Welt", sagt Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller in Deutschland zur "Wiener Zeitung". Der Spezialist für Medikamente in Entwicklungsländern hätte aber bisher nicht gehört, dass andere Länder dem Beispiel folgen wollten. "Mit so einer hohen Innovationsanforderung steht Indien wohl ziemlich alleine da", sagt Hömke.

Entscheidend für die Zukunft ist vor allem, wie sich künftig bedeutende Schwellenländer wie China, Russland oder Brasilien verhalten werden. Staaten also, in denen finanzielle Mittel grundsätzlich vorhanden sind, die jedoch eine breite Schicht mittelloser Menschen aufweisen. Die NGO "Ärzte ohne Grenzen" hatte nach dem Urteil in Indien bereits erklärt, man hoffe, dass viele Länder dem Beispiel Indiens folgen.

Sorgen bereiten Pharmafirmen aber auch Zwangslizenzen. Mit diesem Instrument kann ein Land in medizinischen Notsituationen ein anerkanntes Patent außer Kraft setzen. Bisher wurde es weltweit nur vereinzelt angewendet, Beobachter rechnen jedoch mit einer Zunahme. In Indien können zudem Zwangslizenzen auch drei Jahren nach Patentvergabe angeordnet werden, wenn das Präparat als zu teuer eingestuft wird. Solch ein Zwangspatent traf bereits den deutschen Pharmakonzern Bayer. Dieser wurde voriges Jahr gezwungen, das Recht für das umsatzstarke Krebsmedikament Nexavar an den indischen Generika-Hersteller Natco weiterzugeben.

Läuft ein Patent aus - meist nach zehn bis fünfzehn Jahren - ist der Weg frei für die Generikaindustrie. Generika sind wirkstoffgleiche Kopien eines Medikaments, die einen Bruchteil des Originals kosten. Mittlerweile sind 62 Prozent aller Medikamente in Deutschland Generika. In Österreich entfällt fast jede zweite Verordnung auf solche Nachfolgeprodukte. Indien ist der weltweit größte Exporteur von Generika.

"Keine Existenzgefährdung"

Die zunehmend schwierige Marktsituation versuchen Pharmakonzerne auf verschiedene Weise zu lösen. Der Schweizer Konzern Roche etwa setzt nur auf Neuentwicklungen von Blockbustern, die Umsatz in die Kasse spülen sollen. Novartis wiederum hat innerhalb seines Konzerns eine eigene Generikasparte. Wieder andere Originalanbieter vergeben Lizenzen an Generikahersteller noch vor Ablauf des Patents.

Nicht alle Pharmakonzerne hätten genügend Neuentwicklungen in der Pipeline um ihren Umsatz zu erhalten, bestätigt Hömke. Der US-Konzern Pfizer etwa musste sich nach dem Ablauf von Patenten personell verkleinern. "Indien ist aber nur ein Land unter vielen", sagt Hömke. Er rechnet nicht damit, dass Änderungen am indischen Markt für einzelne Firmen existenzgefährdend sind.