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Punkte oder Sofortmaßnahmen?

Von Alexandra Grass

Politik

Die Diskussion um den Punkteführerschein ist am Montag neu entflammt. Allgemeine Einigkeit herrscht über das Ziel einer weiteren Führerschein-Reform: HochrisikolenkerInnen sollen erfasst werden. Doch über das Wie liegen nun unterschiedliche Vorschläge auf dem Tisch. Während die ÖVP zu Sofortmaßnahmen tendiert, rückt Verkehrsminister Hubert Gorbach von der Idee der Einführung des Punkteführerscheins nicht ab. Derzeit befasst sich eine ministeriumsinterne Arbeitsgruppe mit dem Thema. Im Herbst wird ein erstes Modell vorliegen, das im Frühjahr 2004 umgesetzt werden soll.


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Die Mehrphasenfahrausbildung ist noch gar nicht richtig angelaufen und schon wird eine weitere Führerschein-Reform diskutiert. Diesmal stehen allerdings nicht ausschließlich FahranfängerInnen, sondern HochrisikolenkerInnen im Visier der Politik und der VerkehrssicherheitsexpertInnen.

Mitte Juni hatte der Verkehrsminister mit seiner Idee nach Einführung des Punkteführerscheins für Überraschung beim Koalitionspartner ÖVP gesorgt. Er will bis zum Jahr 2010 die Zahl der Verkehrstoten halbieren und dabei vor allem gegen "Wiederholungstäter" vorgehen - also gegen FahrerInnen, die ein "wirkliches Risiko" darstellen.

Gorbachs Vorschlag

Jeder Fahrer solle eine Punktekarte bekommen. Ist diese halb voll, werde es Nachschulungen geben. Bei drei Viertel der Punkte seien empfindlichere Maßnahmen wie temporärer Führerscheinentzug vorgesehen. Und wenn die Karte voll sei, werde der Betroffene halt mehr mit den Öffis fahren müssen.

Gestern haben ÖVP-Verkehrssprecher Werner Miedl und Jugendsprecherin Silvia Fuhrmann allerdings ein eigenes Konzept vorgelegt, das vor allem Sofortmaßnahmen bei Auffälligwerden von VerkehrsteilnehmerInnen vorsieht. Den Punkteführerschein sieht Miedl als "verkehrspädagogisch riesigen Nachteil". Die Punktesammlung würde eine nachhaltige und sofortige Verhaltensänderung verzögern. "Wir wollen, dass sofort gehandelt und ernst genommen wird", erklärte Miedl. Überdies sei der Punkteführerschein verwaltungstechnisch zu aufwendig.

Der ÖVP-Vorschlag

Die ÖVP will den Führerscheinentzug im Gesetz als Strafe definiert wissen. Auch wäre ein bedingter Entzug möglich: Etwa bei Delikten, die erstmalig begangen wurden und die als hauptunfallsverursachend gelten. Dazu schwebt Miedl in Zusammenarbeit mit dem Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV) und den Autofahrerklubs ÖAMTC und ARBÖ die Erstellung eines Verkehrsunfallsfehlerverhaltenskatalogs vor. Bei wiederholter Übertretung ist der Schein dann weg.

Durch eine Verordnung des Innenministeriums soll überdies ein einheitlicher Bußgeldkatalog erstellt werden. Das bedeutet gleiche Strafen für gleiche Delikte - und das bundesweit. In jedem Fall sollen die Strafen angehoben werden.

Für Gorbach ist allerdings der Punkteführerschein nach wie vor ein Thema, wie es gestern gegenüber der "Wiener Zeitung" aus seinem Büro hieß: "Ein Abrücken wird es nicht geben." Das Modell soll im Herbst präsentiert werden und wird noch als Diskussionsgrundlage dienen. Details hängen nun von der mit dem Thema befassten Arbeitsgruppe ab.

Kukacka will "effektiven, gangbaren Weg"

Staatssekretär Helmut Kukacka hatte sich schon im Juni verwundert über Gorbachs Forderung nach einem Punkteführerschein gezeigt, "denn die FPÖ war ja bisher immer entschieden dagegen". Als Nein will das der Staatssekretär aber nicht verstanden wissen.

Doch hundertprozentig anfreunden kann er sich mit dem Vorhaben des Ministers offenbar nicht so ganz: Er sehe "die Androhung eines Führerscheinentzugs als effektivere Maßnahme, als um Punkte zu feilschen", hieß es aus seinem Büro. Kukacka will keine übereilige Aktion starten, sondern einen "effektiven, gangbaren Weg". Der Staatssekretär stellt hiezu auch Bedingungen: Wenn, dann soll der Punkteschein nur für schwere Delikte gelten und der Verwaltungsaufwand müsse sich in einem vernünftigen Ausmaß abspielen.

Die ÖVP will ihr Konzept auch im Herbst einer parlamentarischen Behandlung zuführen, kündigten Miedl und Fuhrmann an. Dabei sind ihnen auch die Kosten der Ausbildung ein Dorn im Auge. Im Vordergrund der hier anzugehenden Änderungen soll neben einer Entkrustung der Strukturen des Fahrschulgewerbes und einer damit verbundenen Ankurbelung des Wettbewerbs bei gleichzeitiger Senkung der Kosten auch eine Verbesserung des Preis-Leistungs-Verhältnisses der Fahrschulen sowie eine qualitative und pädagogische Verbesserung der Führerscheinausbildung stehen, betonte Fuhrmann.

Kritik an Führerscheinkosten

Derzeit koste ein B-Führerschein 1.435 Euro - das durchschnittliche Nettoeinkommen betrage aber nur 1.200 Euro. Lehrlinge müssten gar bis zu vier Monaten arbeiten, um sich die Ausbildung leisten zu können, kritisierte die Jung-Politikerin. Ihr Lösungsansatz: Künftig soll es keine fix vorgegebene Stundenanzahl von Theorie und Praxis mehr geben. Die FahrschülerInnen sollten aufgrund der persönlichen Einschätzung jene Stundenanzahl belegen, die sie für einen positiven Prüfungserfolg für nötig halten. "Das kann für den Einzelnen billiger, aber auch teurer werden."

Um die Qualität der Ausbildung zu verbessern, schweben Fuhrmann eigene Fahrschullehrerakademien sowie regelmäßige Schulungen für die AusbildnerInnen vor. Damit könnten bundesweit einheitliche Qualitätsstandards eingehalten und eine hohe Prüfungsqualität gewährleistet werden. Letzten Endes soll die Arbeit der FahrprüferInnen nicht mehr als "Zuverdienst im Nebenjob" gesehen werden.

SPÖ will exakte Definition

Für Verkehrssprecher Kurt Eder bringe ein Punkteführerschein mehr Verkehrssicherheit. Für ihn sei allerdings eine genaue Definition wichtig, welche Delikte mit wie vielen Punkten bestraft werden. "Ein bisschen mehr an Verwaltungsaufwand" sei billiger als die Unfallfolgekosten, die durch den Punkteführerschein vermieden werden könnten.

Der Punkteführerschein steht schon seit Jahren im Mittelpunkt der Debatte. Rund ein Drittel der Bevölkerung würde dessen Einführung goutieren, wie eine Umfrage des Klagenfurter Humaninstituts zeigt.

Zahl der Toten könnte um 150 reduziert werden

Das KfV und der Verkehrsclub Österreich (VCÖ) würden die Einführung des Punkteführerscheins begrüßen, denn die Zahl der Verkehrstoten könnte um bis zu 150 pro Jahr reduziert werden. In Frankreich, England und Deutschland habe sich das System laut KfV-Direktor Othmar Thann bewährt. Die geplante Maßnahme akzeptiert, dass nicht jeder ein perfekter Fahrer ist und sieht vor, dass diese Schwächen beseitigt werden, so der VCÖ.

Das KfV schlägt Alarm: Erstmals seit drei Jahren gab es im ersten Halbjahr 2003 eine Steigerung der Verkehrstoten. Seit Jahresbeginn waren es ohne Einrechnung der 30-Tage-Frist 409 Opfer - im Vergleichszeitraum 2002 waren auch 409 tödlich verunglückt - nach endgültigen Zahlen. Heuer droht eine Todesrate jenseits der Tausenderschwelle.

Delikte könnten sein

- extreme Geschwindigkeitsübertretungen - nicht nur ziffernmäßig, sondern auf die konkrete Situation abgestellt

- Abstandsverhalten - hier gibt es bis heute keinen gesetzlich festgelegten zeitlichen Mindestabstand; Judikatur liegt bei 0,8 bis 0,9 Sekunden

- Im Zusammenhang mit dem Sicherheitsabstand sollte auch das Fahren auf Sicht thematisiert werden; nach der Unfallstatistik liegt hier ein Risikopotential, das durch rigorose Kontrollen und Strafen entsprechend verringert werden könnte

- Lenken ohne Lenkberechtigung bzw. trotz entzogener Lenkberechtigung