Blickt man sich auf Europas Straßen um, fällt vor allem eines auf: Die Strafen für Verkehrssünder werden immer höher, die Reizschwellen zur Führerscheinabnahme immer niedriger. Das Zauberwort heißt Vormerksystem: Wer sündigt, bekommt einen (Schlecht-)Punkt, wer genug Punkte gesammelt hat, darf seinen "Lappen", wie es in Deutschland heißt, abgeben.
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Dort hat das in den 1970er Jahren eingeführte System Tradition; der Deliktekatalog umfasst mittlerweile 163 Sünden. Auch in Großbritannien sind es 102, in Italien 67, in Frankreich 33 - und meist stehen Telefonieren am Steuer, Tempobolzerei und/oder Geisterfahren im Register und werden oft gleich mit mehreren Punkten geahndet, sofortigen Führerscheinentzug eingeschlossen.
Im Österreich, wo das Punktesystem gerade einmal ein Jahr gilt, ist alles anders: 13 Delikte, darunter schlechte Kindersicherung, falsche Autobeladung, Drängeln, Fußgängergefährdung am Schutzweg, Missachtung des Rotlichts, Überfahren eines Stop-Schildes. Keine Minus-Punkte für Raser, Telefonierer oder Geisterfahrer.
Verleitung zum Risiko
Die Liste jener, die eine Verschärfung des Vormerksystems fordern, ist lang - darunter sonst nicht immer mit einer Stimme sprechende Institutionen wie Arbö, "Verkehrsklub Österreich" (VCÖ) oder der "Verkehrspapst" der Technischen Universität Wien, Hermann Knoflacher. Sie alle fordern die Berücksichtigung von Risikolenkern im Punktesystem. Doch im Verkehrsministerium winkt man ab: Die würden eh extra und besonders hart bestraft.
Zumindest theoretisch. Wer jemals einen Schwerpunkt der Wiener Polizei und der MA 46-Prüftechniker gegen sogenannte "Roadrunner" erlebt hat, weiß, wie die Praxis aussieht: Hier investieren Menschen tausende Euro im Jahr in das regelmäßige Um- und Rückbauen ihrer Vehikel - je nachdem, wie oft sie erwischt werden und zur technischen Überprüfung müssen. Polizeistrafen sind im Budget locker mit drin. Um ihren Führerschein brauchen sie nur Angst haben, wenn sie mehr als 50 Stundenkilometer zu schnell unterwegs sind.
Und wenn sie dabei erwischt werden. Denn das Problem sitzt viel tiefer: Abgesehen von Schwerpunktaktionen sind die Kontrollen auf Österreichs Straßen und Autobahnen rar geworden. Selbst die praktisch täglich auftretenden Geisterfahrer werden von der Exekutive kaum erwischt.
"Als ich noch Ministerberater war, habe ich angeregt, nur Maßnahmen im Straßenverkehr zu verhängen, die man auch kontrollieren kann", erinnert sich Knoflacher. Daraus geworden ist nichts: "Verkehrspolitik in Österreich bedeutet, dass dieselben Leute, die Gesetze machen, diese auch kontrollieren, evaluieren und dann Jubelberichte darüber publizieren", urteilt der Professor.
Wir warten auf die angekündigte Analyse des ersten Punkte-Jahres und des Tempo 160-Versuches. Ob Knoflacher recht behält?