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Puppenspieler im Gehirn

Von Kerstin Viering

Wissen

Warum manche Tiere die Angst vor natürlichen Feinden verlieren können. | Schmarotzer nehmen Einfluss auf Emotionen.


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Berlin. Ratten wissen ganz genau, wie das Böse riecht. Klar: nach Katze. Sobald ihnen dieser verhasste Duft in die Nase steigt, machen sie einen möglichst großen Bogen darum. Millionen von Rattengenerationen sind mit dieser Strategie gut gefahren. Doch manchmal versagt der gesunde Nager-Verstand. Dann fühlen sich die Tiere von Katzenurin geradezu magisch angezogen und schnüffeln ausgiebig daran.

Für dieses seltsame Verhalten haben Wissenschafter schon vor einigen Jahren eine Erklärung gefunden. Im Kopf der betroffenen Ratten hat ein Parasit namens Toxoplasma gondii das Kommando übernommen und lässt sie gegen alle Regeln der Vorsicht verstoßen. Wie aber hebelt der Einzeller die angeborene Angst der Tiere aus? Auf diese Frage haben Patrick House und Robert Sapolsky von der Stanford University in Kalifornien gemeinsam mit Ajai Vyas von der Nanyang Technology University in Singapur nun eine erstaunliche Antwort gefunden.

Offenbar geraten bei den draufgängerischen Ratten zwei lebenswichtige Triebe durcheinander, berichten die Forscher im Fachjournal "Plos one". Statt an Flucht scheinen die befallenen Nager eher an Sex zu denken. "In mancher Hinsicht weiß Toxoplasma mehr über die Neurobiologie der Angst als wir", staunt Sapolsky, "es kann sie gezielt beeinflussen."

Es ist nicht der erste Fall, in dem Forscher auf Parasiten mit unheimlichen Talenten gestoßen sind. Etliche Arten scheinen ihre Opfer sehr geschickt für ihre eigenen Zwecke zu manipulieren. Otto Seppälä und seine Kollegen von der Universität Jyväskylä in Finnland haben beispielsweise die durchaus hinterhältigen Machenschaften des Saugwurms Diplostomum spathaceum aufgedeckt. Der nistet sich in den Augen von Fischen ein und löst eine Art Grauen Star aus. Die schuppigen Patienten können dann nur noch schlecht sehen und lassen sich daher viel leichter fangen als ihre gesunden Artgenossen. Und genau darauf legt es der Parasit an. Denn er vermehrt sich im Verdauungstrakt von Möwen und anderen geflügelten Fischfressern.

Andere Parasiten aber können mehr, als ihrem Opfer nur eine körperliche Behinderung zuzufügen. Wie winzige Puppenspieler übernehmen sie die Kontrolle über Teile des Nervensystems und steuern so bestimmte Verhaltensweisen. Ram Gal aus Israel und Frederic Libersat aus Frankreich haben zum Beispiel beobachtet, wie die tropische Juwelwespe Ampulex compressa Küchenschaben in willenlose Marionetten verwandelt, die am Ende von Wespenlarven bei lebendigem Leib verspeist werden.

Mit Säugetieren haben es Parasiten schwerer

Der Insekten-Horrorfilm beginnt, wenn die Wespe ihrem Opfer einen gezielten Stich in den Kopf verpasst. Dabei injiziert sie einen Giftcocktail direkt in jene Nervenknoten, die den Krabbeltieren als Gehirn dienen. "Die Schabe verwandelt sich dadurch sozusagen in einen gehorsamen Zombie", berichteten die Forscher 2010 im Fachjournal "Communicative & Integrative Biology". Auch bei anderen Insekten und manchen Krebsen gelingt es Parasiten mitunter, die Kontrolle über das Verhalten zu übernehmen.

Bei Säugetieren ist das viel schwieriger. Denn sie haben eine sehr effektive Schranke zwischen Blut und Gehirn, die nur wenige Eindringlinge überwinden können. Doch Toxoplasma hat damit keine Probleme. Zwei Wochen nach der Infektion hat sich der Einzeller im ganzen Rattenhirn ausgebreitet, mit Vorliebe in der auch als "Mandelkern" bekannten Region Amygdala. Sie spielt bei verschiedenen Arten von Emotionen eine Rolle - von Angst bis zu sexueller Erregung.

Genau dieser Spur sind Patrick House und seine Kollegen nun nachgegangen. Sie konfrontierten männliche Ratten einmal mit dem Geruch eines paarungsbereiten Weibchens und einmal mit dem von Katzenurin. Bei gesunden Nagern sprach das duftende Sexversprechen erwartungsgemäß andere Hirnareale an als der Geruch von Gefahr, doch bei den infizierten Tieren war neben dem Angstbereich auch die für sexuelle Anziehungskraft zuständige Region der Amygdala aktiv.

Damit hat der Parasit sein Ziel erreicht. Denn er kann sich nur im Darm von Katzen fortpflanzen. Und wie kommt er dahin? Am besten über eine tollkühne Ratte, die der samtpfotigen Jägerin direkt vors Maul spaziert.