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Putin auf Agenten-Jagd

Von WZ-Korrespondentin Inna Hartwich

Politik

Auch ausländische Stiftungen Opfer der Massenrazzien: Europa ist "besorgt".


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Moskau. Sie kommen "auf Anweisung der Generalstaatsanwaltschaft", inspizieren stundenlang Unterlagen, interne Sitzungsprotokolle, Budgets, manchmal nehmen sie auch gleich die Computer mit. In einer beispiellosen Massenaktion durchforsten russische Fahnder seit Tagen hunderte von NGOs quer durchs Land. Russische, deutsche, internationale. Am Mittwoch war das Moskau-Büro von Human Rights Watch (HRW) an der Reihe.

Man suche nach "ausländischen Agenten", so rechtfertigt es Russlands Justizministerium. Von Maßnahmen zur Spionageabwehr spricht Präsident Wladimir Putin. Ein von ihm initiiertes umstrittenes neues Gesetz erleichtert den Einsatz. Europa schreit auf.

Ziel sind Organisationen, die sich für Menschenrechte einsetzen, für Umweltschutz oder auch für die Aufarbeitung von Sowjetverbrechen. In der vergangenen Woche waren es laut russischer Anwaltvereinigung "Agora" mehr als 2000 Büros von mehr als 40 russischen NGOs - unter ihnen Amnesty International (ai), Memorial und zwei deutsche politische Stiftungen. Das System Putin geht immer paranoider gegen seine Gegner vor - und desillusioniert immer weiter seine europäischen Partner.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) lud den russischen Gesandten ins Außenministerium, die französische Regierung bat den russischen Botschafter in Paris um eine Erklärung. Brüssel ist "besorgt". Die jüngsten Gesetzesänderungen, die die bürgerlichen Freiheiten in Russland beschneiden, der Anstieg von Fällen gerichtlicher Verfolgung von oppositionellen Aktivisten, politische Prozesse und ein fragwürdiges Vorgehen in prominenten Fällen von Menschenrechtsverletzungen sei "ein Trend, der zutiefst beunruhigend ist", teilte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton gestern in einer schriftlichen Erklärung mit.

Bereits vor Tagen waren Vertreter der russischen Staatsanwaltschaft und der Steuerbehörde bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in St. Petersburg aufgetaucht, gaben dort einen Katalog von mehr als 20 Fragen ab und gingen wieder. Am Dienstag holten sie vier Rechner, ohne Gerichtsbeschluss. Im Moskauer Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ließen sich die Beamten stundenlang die Unterlagen zeigen. Vertreter beider Stiftungen mussten später zur Staatsanwaltschaft. An die große Glocke hängten sie diese Anweisungen zunächst nicht, offenbar, um die russischen Behörden nicht noch zusätzlich zu reizen.

Auch andere Stiftungen warten auf den Besuch der Fahnder. "Wir sind nicht naiv", sagte Jens Siegert, Leiter des Moskauer Büros der den deutschen Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung, der Wiener Zeitung. "Unsere russischen Partner werden jedes Jahr einer solchen Prozedur unterzogen. Für uns wäre das eine Premiere. Eine, die erschreckt." Die deutsche Bundesregierung sieht im Vorgehen der Russen eine große Belastung der gegenseitigen Beziehungen. "Wir erwarten, dass die Stiftungen ihre Arbeit reibungslos fortsetzen können", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Das Hauptinteresse der Fahnder dürfte auf der Kooperation der deutschen Stiftungen mit russischen Organisationen liegen. Seit Anfang des Jahres müssen sich russische NGOs, die Zuschüsse aus dem Ausland bekommen, als "ausländische Agenten" registrieren lassen. Ein Stigma der Illoyalität, das schon unter Stalin Verfolgung zur Folge hatte. Viele, wie die Böll-Partnerorganisation "Memorial", die neben Verbrechen im Stalinismus auch aktuellen Fällen von Menschenrechtsverletzungen vor allem im Nordkaukasus nachgeht, weigern sich bis heute. "Es scheint sich um eine Initiative von Unterstellten zu handeln, die ein Signal von Putin überbewertet haben und in Aktionismus verfallen", sagt Wladislaw Below, der Direktor des Zentrums für Deutschlandforschung bei der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau. Er spricht von einem "Imageschaden" für Russland. Andere glauben hingegen, der Befehl kommt direkt vom Kremlchef.

Laut NGO- und Steuergesetz haben die Beamten zwar das Recht, Unterlagen einzusehen. Allerdings müssen sie sich anmelden. Für Durchsuchungen muss ein Gerichtsbeschluss vorliegen. Das aber wird großteils ignoriert. Der Staat dämonisiert die Arbeit von NGOs und Stiftungen. Denn natürlich geht es dort kritisch zu. Kritik aber begreift Russlands Führung stets als Einmischung - selbst wenn sie von Landsleuten kommt. Sie sind dem Kreml ein besonderer Dorn im Auge.