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Während der Tod der Besatzung des U-Boots "Kursk" traurige Gewissheit ist, sieht sich Präsident Wladimir Putin zunehmender Kritik der russischen Medien ausgesetzt. Angriffspunkt ist sein langes Zögern, westlicher Hilfe bei den Bergungsversuchen zuzulassen. Sein Sieger-Image hat durch sein Verhalten im Zusammenhang mit der Havarie des Atom-U-Boots "Kursk" schwere Risse erhalten.
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Denn von der einstigen Entschlossenheit des Siebenundvierzigjährigen war in den Tagen nach dem Unglück wenig zu spüren. Im In-und Ausland mehren sich kritische Stimmen, die dem Präsidenten ein schlechtes Krisenmanagement vorwerfen. Zudem vermittelte Putin von seinem Urlaubsort am Schwarzen Meer aus den Eindruck, als berühre ihn das Schicksal der Besatzung des havarierten U-Boots wenig. Ganze vier Tage verstrichen, bis Russland die umgehend angebotene Hilfe aus dem Ausland annahm. Der russische Präsident reagierte auf die massiven Vorwürfe auf wenig populäre Weise: Es habe von Anfang an geringe Chancen auf Überlebende gegeben, so Putin zu seiner anfänglichen Zurückhaltung.
Nationalstolz
Was Putin in diesem Zusammenhang aber am meisten treffen könnte, ist, dass er seine Popularität vor allem seinem Bemühen um die Wiederherstellung des russischen Nationalstolzes verdankte. Die Armee, die der kampfsportbegeisterte Präsident nach Einschätzung vieler Russen erfolgreich gegen die Rebellen in Tschetschenien in den Krieg schickte, spielte dabei eine entscheidende Rolle. Doch die hat nun viel von ihrer einstigen Aura eingebüßt. Der ehemalige russische Vize-Präsident Alexander Ruzkoi meinte sogar, Russland habe mit dem Untergang der "Kursk" nicht nur ein Boot, sondern eine nationale Idee verloren. Der desolate Zustand der russischen Armee hat schon seit längerem Sorgen im Ausland ausgelöst. So kann immer wieder selbst für die Offiziere der ehemaligen Sowjetmacht der Sold nicht ausgezahlt werden, dass Material und Ausbildung der Soldaten im Argen liegen, wurde der Weltöffentlichkeit im Zuge des Tschetschenien-Krieges drastisch vor Augen geführt.
Medienkritik
In der Tageszeitung "Wremja" hieß es, dass es für den Westen nun an der Zeit sei, sich über ein Land ernsthaft Sorgen zu machen, dass "verarmt" sei, aber seine "alternden" Nuklearwaffen" trotzdem erhalten wolle, zum Beweis, "dass es eine Supermacht sei." Was die Rolle Putins bei der Katastrophe angeht, wird die Meinung der übrigen Presse inzwischen immer einhelliger: Putin habe die Hilflosigkeit einer ehemaligen Supermacht demonstriert. Einige Zeitungen warfen der politischen und militärischen Führung vor, die Wahrheit verschleiern zu wollen, andere prophezeien eine geschlossenen Oppositiongegen Putin und "einen heissen politischen Herbst" für den voraus. dem Präsidenten wird vor allem angekreidet, dass er aus falschem Stolz zu spät westliche Hilfe zugelassen hätte.
Unfallursache vertuscht
Die näheren Umstände der U-Boot-Katastrophe liegen derweil immer noch im Dunklen. Offiziell war immer wieder die Rede von einer Kollision der "Kursk" mit einem unbekannten anderen Schiff. Das norwegische Militär geht indes von der Explosion eines Torpedos oder eines anderen Waffensystems an Bord der "Kursk" aus. Es gebe keinerlei Hinweise auf eine Kollision, sagte Armeesprecher Brigadegeneral Kjell Grandhagen in Oslo. Das Pentagon meinte in diesem Zusammenhang, dass ein amerikanisches U-Boot mit sicherheit nicht an der Kollision beteiligt gewesen wäre. Allgemein wird vermutet, dass die "Kollisions-These" dem Kapitän der "Kursk" die alleinige Schuld an dem Debakel in die Schuhe schieben, und höhere russische Armeestellen vor Peinlichkeiten in Schutz nehmen soll.
Die zuverlässigsten Hinweise über die wahre Ursache des Unfalls dürfen aus norwegischen Quellen stammen. So hat ein norwegisches Aufklärungsschiff am Aufenthaltsort der "Kursk" am zwölften August zwei Explosionen registriert, die einer Stärke von bis zu zwei Tonnen Dynamit entsprochen hätten. Eine Explosion im Inneren des Bootes erscheint westlichen Experten daher als am wahrscheinlichsten. Die Führung der tschetschenischen Rebellen in Südrussland hat dazu allerdings ihre eigene Meinung: derzufolge habe ein "Kamikazekämpfer" unter der Mannschaft absichtlich das Unglück herbeigeführt, wie die "International Harald Tribune" vermeldet.
Norwegische Taucher hatten am Montag festgestellt, dass das U-Boot komplett mit Wasser überflutet ist und nach menschlichem Ermessen niemand die Tragödie überlebt haben dürfte. Auch das britische Mini-U-Boot "LR5", das zur Rettung von Überlebenden eingesetzt werden sollte, hat seine Mission abgebrochen.Vladimir Putin hat sich am Dienstag doch in das Hauptquartier der russischen Nordflotte begeben, um den zu Tode gekommenen die letzte Ehre zu erweisen. Er traf dabei auch mit Seekommandanten und den Angehörigen der Opfer zusammen. Nach vor seiner Abreise aus Moskau hatte er einen "Tag der "nationalen Trauer" ausgerufen.