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"Putin ist von Europa enttäuscht worden"

Von Alexander Dworzak

Politik

Horst Teltschik, einst Berater von Deutschlands Ex-Kanzler Helmut Kohl, über die Beziehungen zwischen der EU und Russland.


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Wien. "Mir wird vorgeworfen, ich sei ein Putin-Versteher", schmunzelt Horst Teltschik - und setzt das rhetorische Florett an: Es sei doch besser, jemand verstehe etwas von der Sache, sagt der frühere Berater Helmut Kohls, der bei den deutsch-deutschen Verhandlungen der Wendezeit entscheidend mitwirkte. Danach wechselte Teltschik in die Wirtschaft, leitete zudem die Münchner Sicherheitskonferenz. In Wien referierte er auf Einladung der Österreichischen Gesellschaft für Außenpolitik und die Vereinten Nationen.

"Wiener Zeitung":Sie bezeichnen die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland nach dem Fall der Mauer als sehr positiv, Stichwort russische Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation (WTO), Etablierung des Nato-Russland-Rates. Wann ging es bergab?Horst Teltschik: Es gab einen schleichenden Prozess, aber am Ende einen Auslöser: die Assoziierungsverhandlungen der EU mit der Ukraine. Die Kommission hat mit diesem schrecklichen Kerl, Ex-Präsident Wiktor Janukowitsch verhandelt und nicht gemerkt, wie sensitiv dieses Thema für Russland ist. Daher hätte die Kommission parallel Verhandlungen mit Russland führen müssen, um deren Interessen aufzufangen.

Putin war im Jänner dieses Jahres zum EU-Russland-Gipfel in Brüssel. Damals erinnerte die Kommission an einen Vorschlag, den bereits der einstige Kommissionschef Romano Prodi unterbreitet hatte, nämlich eine gesamteuropäische Freihandelszone zu bilden. Russland war dafür, die EU-Länder blockten damals mit dem Hinweis ab, die Russen sollen erst Mitglied der WTO werden - das sind sie seit 2013. Wenn man die Freihandelszone aufgegriffen hätte, gäbe es das Problem Ukraine unter Umständen nicht.

Als Putin 2001 im Bundestag sprach, erhielt er Standing Ovations . . .

Er sagte im Prinzip, dass Russland Teil Europas ist. Bloß hatte nicht nur Prodis Vorschlag keine Wirkung. Ich fragte Putin einmal, warum sein Freund Gerhard Schröder, damals noch Kanzler, nichts unternimmt. Putin zuckte nur mit der Schulter. Das Partnerschaftsabkommen EU-Russland ist vor Jahren ausgelaufen, und nicht erneuert worden. Warum?

Diese Ereignisse liegen Jahre zurück, eskaliert ist der Konflikt mit Russland aber erst heuer.

Schon die Nato-Osterweiterung 2004 war innenpolitisch schwierig für Putin, aber er erhielt mit dem Nato-Russland-Rat (NRR) eine Kompensation. Putin ist von Europa enttäuscht worden, auch an anderer Stelle: So sagte Angela Merkel, man müsse die Beziehungen zu Russland über den NRR hinaus weiterentwickeln. Sie erklärte aber nie, was das konkret heißt. Verärgert hat die Russen auch die ständige Aussage, Europa müsse seine Abhängigkeit im Energiebereich reduzieren. Russland meint dagegen, es habe 40 Jahre Öl und Gas geliefert - und nie gab es Probleme.

Was ist mit Putins umstrittener Gesellschaftspolitik?

Er hat das Selbstbewusstsein zu sagen, dass Russland eine eigene Kultur und einen eigenen Charakter hat, nicht dauernd von außen belehrt werden muss, was es zu tun hat. Generell sollte man bei Ländern in Transformationsprozessen immer erst die positiven Veränderungen anerkennen, danach die Probleme ansprechen. Politik funktioniert nur, wenn sie für beide Seiten eine Win-win-Situation schaffen.

Was ist die Win-win-Situation in der Ukraine?

Die Katastrophe ist bedingt durch die innere Schwäche der Ukraine. Ein Ganove hatte früher den anderen abgelöst, sagte Putin über die dortigen Machtwechsel in der Vergangenheit. Keine Regierung besaß Autorität. Und Autorität kann man nicht von außen herstellen. Daher sind Wahlen wichtig, um eine formale Legitimität herzustellen. Beim jetzigen Präsidenten und Milliardär Petro Poroschenko hat man den Vorteil, dass er nicht mehr bestochen werden muss.