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Ob er 2012 in den Kreml einziehen will, dürfte offen bleiben.
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Wird er oder wird er nicht? Wladimir Putin, selbsternannter "Führer der Nation" und seit 2008 Regierungschef, ließ sich über seine Zukunftspläne bisher nicht in die Karten blicken. Dass er – und nicht Kremlführer Dmitri Medwedew – im März 2012 bei der Präsidentschaftswahl antreten wird, gilt zwar als sehr wahrscheinlich. Doch Russlands Eliten wollen es endlich genau wissen. Auf dem Kongress der Putin-Partei Geeintes Russland (GR), wo der Ministerpräsident heute, Samstag, seine vielbeachtete Rede hält, erhoffen sie sich eine klare Antwort. Doch die wird es vermutlich wieder nicht geben. Davon gehen jedenfalls die meisten Analysten aus.
Denn zunächst steht noch ein anderer wichtiger Urnengang an – und der bereitet Putin und seiner St. Petersburger Machtclique derzeit weitaus mehr Kopfzerbrechen. In zehn Wochen wählen die Russen ein neues Parlament – die Umfragewerte von Geeintes Russland liegen so tief wie noch nie. 2007 hatte die Partei – allerdings mit Hilfe von Wahlmanipulation – noch die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht (sie stellt 315 der 450 Sitze in der Duma).
Doch Höhenflug ist vorbei. Laut dem Forschungsinstitut Lewada liegt Geeintes Russland bei knapp 50 Prozent. Bei den Teil-Regionalwahlen im März hatte die Putin-Partei gerade einmal 45 Prozent der Stimmen erzielt. Anfang des Jahres lagen die Zustimmungswerte landesweit überhaupt nur bei 35 Prozent. Politikverdrossenheit greift um sich. Gerade einmal 20 Prozent wollen – Stand September – auf jeden Fall ihre Stimme abgeben.
Vor allem in den Städten hat Putins Scheindemokratie massiv an Popularität eingebüßt. Während sich Machtclique illegal bereichere und die Korruption enorme Ausmaße erreicht habe, friste der Großteil der Bevölkerung trotz der gigantischen Öl- und Gaseinnahmen des Staates noch immer ein tristes Dasein, lautet einer der Hauptkritikpunkte. Die Putin-Partei erhielt den wenig schmeichelhaften Spitznamen "Partei der Gauner und Diebe". Die Menschen geben ihr auch die Schuld an steigenden Preisen für Lebensmittel und Energie.
Falsche Töne<br style="font-weight: bold;" /> <br style="font-weight: bold;" /> Der Mega-Parteitag soll die Kritiker wieder ins Boot holen. Vor allem Putin, der der Partei zwar nicht angehört, sie aber trotzdem anführt (dank einer von ihm veranlassten Statutsänderung), sorgte im Handelszentrum Gostiny Dwor im Zentrum Moskaus für ungewöhnliche Töne. Er schmeichelte seinen schärfsten Kritikern – den Menschenrechtlern, die er wegen ihrer Kritik gewöhnlich einsperren und deren verbotene Protestmärsche er stets gewaltsam auflösen lässt. "Sie achten auf Probleme, um die sich im Alltagsleben nicht alle sorgen", meinte Putin am Freitag in der live im Staatsfernsehen übertragenen Rede unter tosendem Applaus der 1300 Delegierten. Auch die unabhängige regierungskritische Presse will er plötzlich subventionieren statt verfolgen.
Präsident Dmitri Medwedew, der im Machtduo den liberalen Part spielt – soll auf dem zweitägigen Parteikongress, auf dem die Kandidatenliste für die Duma-Wahl aufgestellt wird, erstmals einen GR-Listenplatz erhalten: Gemunkelt wurde sogar, dass sich das Tandem Platz eins teilt. Für den Fall, dass Putin im März in den Kreml einzieht, hätte Medwedew wenigstens ein Abgeordnetenmandat. Er würde, heißt es in Regierungskreisen hinter vorgehaltener Hand, voraussichtlich zum Parlamentspräsidenten gekürt. Der Kremlführer selbst würde gern eine zweite Amtszeit anhängen, wie er mehrmals durchklingen ließ, doch Russlands mächtigster Politiker ist Putin, und der hat das letzte Wort. Eine Kampfabstimmung hat das Tandem dezidiert ausgeschlossen.
Volksfront als Zugpferd
Vorerst gilt es, gemeinsam die Parlamentswahl ohne großen Gesichtsverlust für Putin über die Bühne zu bringen. Aus Angst vor einem Wahldebakel am 4. Dezember trotz massiven Einsatzes "staatlicher Ressourcen" – sprich Wahlbetrugs – hatte der Premier im Mai die "Allrussische Volksfront" ins Leben gerufen. Offiziell dient sie dazu, die unpopuläre Apparatschik-Partei für Nichtmitglieder zu öffnen und Inputs der verschiedensten Bevölkerungsgruppen in das Wahlprogramm einfließen zu lassen. Fast alle Berufs- und Interessensgruppen bis hin zu
Frauenorganisationen und dem Verein der Bienenzüchter schrieben sich brav ein, zumeist ohne die eigene Basis zu fragen. Einzig die Architekten wehrten sich gegen ihre politische Vereinnahmung. "In Wahrheit geht es nur um eine billige PR-Aktion", schrieb der Kommentator Sergej Petrow jüngst. Mit dem Ziel, die politikverdrossene Bevölkerung mit leeren Versprechungen an die Urnen zu locken. Viele teilen in Russland diese Meinung. GR erhofft sich mit der Front eine Erhöhung des Stimmungsanteils bei der Duma-Wahl um ganze 15 Prozent. Alles andere als eine neuerliche Zwei-Drittel-Mehrheit würde Putin innenpolitisch diskreditieren.
Insgesamt dürfen bei der Wahl sechs Parteien antreten – mit Ausnahme der Kommunisten, die mit rund 18 Prozent erneut zweitstärkste Kraft werden dürfte, handelt es sich allerdings durchgehend um kremlnahe Parteien. Die einzige echte Oppositionspartei, Parnass, wurde ausgeschlossen. Den Einzug ins Parlament schaffen laut aktuellen Umfragen neben GR und KP nur die ultranationalistischen Liberaldemokraten und eventuell noch die Partei "Gerechtes Russland". Auch da hat sich Putin noch nicht festgelegt, lästern seine Gegner.