Bei der Stimmabgabe für seinen Kronprinzen Dmitri Medwedew kam Wladimir Putin kein einziges Lächeln über die Lippen. Und auch als der scheidende Kremlführer und Ministerpräsident in spe seinen künftigen Vorgesetzten am Wahltag gönnerhaft zum Mittagessen in ein Moskauer Restaurant ausführte, ging es eher frostig zu: Geraspelter Eisfisch stand auf dem Menüplan.
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Putin gibt die Allmacht, die er als russischer Präsident acht Jahre lang uneingeschränkt genoss und zur Etablierung seines Geheimdienst-Regimes auch rigoros einsetzte, nicht gerne ab. Zwar kann er hoffen, dass ihm sein Wunschnachfolger Medwedew, den das Wahlvolk am Sonntag erwartungsgemäß absegnete, weiter politischen Handlungsspielraum lassen wird, wenn er ins Weiße Haus umzieht - Garantie hat er aber keine. Denn laut Verfassung gibt der Präsident und nicht der Regierungschef die Richtlinien in der Außen- und Innenpolitik vor. Dem Kremlchef unterstehen des Weiteren die Schlüsselressorts Verteidigung, Justiz sowie die Geheimdienste. Und er ist der Oberbefehlshaber der Streitkräfte.
Medwedew ließ während seiner Wahlkampagne auch bereits mit einigen Aussagen aufhorchen, die eine Neuakzentuierung in Teilbereichen zumindest denkbar erscheinen lassen. Man kann diese, falls sie tatsächlich ernst gemeint waren, durchaus als leise Kritik an Putins Kurs verstehen. So sagte Medwedew dem "herrschenden Rechtsnihilismus" - einem Markenzeichen des bisherigen Systems - den Kampf an. Neben einer unabhängigen Justiz kündigte er auch größere Medienfreiheit, einen Aktionsplan zum Kampf gegen die Korruption sowie Bürokratieabbau an. Der Machtwechsel samt neuer Rollenverteilung Anfang Mai wird daher möglicherweise nicht ganz so "harmonisch" über die Bühne gehen wie Putin gehofft hat.
Man darf auch gespannt sein, wie Medwedew sich und sein Verhältnis zu Putin nach außen hin präsentieren wird. Putin hatte in der Vergangenheit seine Regierungsmannschaft vor den Fernsehkameras stets wie ein Oberlehrer abgekanzelt - und muss nun hoffen, dass es sein bisheriger Vizepremier Medwedew nicht auch so halten wird.
Putin jedenfalls hat mittlerweile die Rolle des Premiers neu entdeckt. Der Präsident sei zwar der Hüter der Verfassung, "aber die höchste Exekutivgewalt im Land ist die Regierung, angeführt vom Premier", ließ er kürzlich wissen. Eine Verfassungsänderung zugunsten größerer Vollmachten des Ministerpräsidenten schlossen Putin, der möglicherweise eine spätere Rückkehr in den Kreml plant, wie auch Medwedew vorab aus. Ohnehin glauben Politanalysten nicht, dass Medwedews angedeutete Kurskorrektur mehr als ein Lippenbekenntnis ist. Immerhin hat er die Demontage der Demokratie in Russland in den letzten acht Jahren selbst mitgetragen und offen unterstützt. Seite 7