Vier Kreml-nahe Parteien unterstützen Nominierung. | Der 42-Jährige gilt als gemäßigt. | Moskau. Putins Entscheidung war mehr als überfällig. Am gestrigen Montag kam sie trotzdem überraschend - sowohl was den Zeitpunkt als auch den gewählten Kandidaten betrifft. Sämtliche Beobachter gingen davon aus, dass der Name des Kronprinzen erst in einer Woche auf dem Parteitag der Kremlpartei Einiges Russland genannt wird.
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Spekuliert wurde auch darüber, ob Putin den Namen zuerst nennen wird oder ob der Kandidat gar von der Mehrheitspartei Einiges Russland gekürt wird. Beides erwies sich als falsch: Formell wurde Dmitri Medwedjews Kandidatur nun dem russischen Präsidenten von den vier Vorsitzenden der Parteien Einiges Russland, Gerechtes Russland, Agrarpartei und Bürgerkraft vorgeschlagen. Es handelt sich dabei ohne Ausnahme um Kreml-treue Parteiorganisationen, wobei die Agrarpartei und die Bürgerkraft unbedeutend sind: Sie verfehlten den Einzug ins Parlament deutlich. Einiges Russland mit über 64 Prozent und Gerechtes Russland mit über sieben Prozent verfügen zusammen hingegen über eine überwältigende Sitzmehrheit. Dies gab Putin nun die Möglichkeit, Medwedjew zum Kandidaten des ganzen russischen Volkes zu stilisieren: "Dieser Vorschlag von vier Parteien, die unterschiedliche Gesellschaftsschichten vertreten und von denen zwei über eine stabile Parlamentsmehrheit verfügen, wird uns nach den Präsidentschaftswahlen im März die Möglichkeit geben, eine solide Regierungsmacht zu formieren", erklärte er und fügte hinzu: "Ich kenne Medwedjew seit mehr als 17 Jahren. Während dieser Zeit habe ich sehr eng mit ihm zusammengearbeitet. Ich unterstütze diese Kandidatur voll und ganz."
Wieder ausgepackt
Medwedjew galt seit langem als heißer Anwärter, doch in den vergangenen Wochen hatten den 42-Jährigen bereits viele abgeschrieben. Nach seinem Auftritt am Davoser Weltwirtschaftsforum im Januar, an dem er sich als liberal gesinnter Managertyp präsentierte, schien er gegenüber dem ehemaligen Verteidigungsminister Sergej Iwanow mehr und mehr ins Hintertreffen zu geraten.
Putin selbst bereitete Iwanow, mit dem er einst zusammen beim KGB arbeitete, dafür das Terrain, indem er ihn einerseits im Februar zum Vizepremier beförderte und damit im Rang Medwedjew gleichsetzte. Andererseits spielte auch Putins Rede in München zu Beginn des Jahres und die aggressivere Rhetorik gegenüber dem Westen Iwanow in die Hände, der außenpolitisch weit forscher auftritt als Medwedjew.
"Wesir Putins"
Medwedjew ist ein enger Weggefährte des Präsidenten aus St. Petersburger Tagen. Heute leitet er den staatlichen Energieriesen Gazprom und zeichnet sich als Erster Vizepremier vor allem für die Umsetzung sozialer Regierungsprojekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft und Wohnungswesen verantwortlich.
Im Gegensatz zu Iwanow wirkt Medwedjew bei seinen Auftritten bislang zurückhaltend, ja gar schüchtern und wortkarg. Gerade diese Zurückhaltung könnte es aber nun gewesen sein, die ihm zum Erfolg verhalf und mit der er das Vertrauen der verschiedenen Kreml-Clans gewann. Für sie ist Medwedjew im Vergleich zu Iwanow letztlich wohl der flexiblere und lenkbarere Politiker. Putins Kandidat, der sich im Kreml den Spitznamen "Wesir" verdient hat, verfügt über ein gutes Beziehungsnetz. Zu seinen Gönnern soll auch der Oligarch Roman Abramowitsch gehören. Aber selbst für die liberalen Kreise und den Westen dürfte der gemäßigte 42-Jährige, der keine Geheimdienstvergangenheit mitbringt, ein versöhnlicher Kandidat sein.
Aufgrund der gleichgeschalteten Fernsehkanäle und Putins aktueller Popularität ist davon auszugehen, dass Medwedjew die Präsidentschaftswahlen am 2. März für sich entscheiden wird. Mit dem Namen des neuen Zaren dürften sich die Russen leicht anfreunden - Medwed ist das russische Wort für Bär - das russischste aller Tiere.
Offener denn je scheint indes Putins eigene Zukunft zu sein: Eine Verfassungsänderung, die ihm eine dritte Amtszeit erlauben würde, scheint nun definitiv vom Tisch. Im Moment zirkulieren wieder utopische Gerüchte über die Bildung einer Weißrussisch-Russischen Union, deren Präsident Putin werden könnte. Ernsthafter in Betracht zu ziehen ist wohl eine Übernahme des Parteivorsitzes von Einiges Russland. Spekuliert wird zudem, dass Medwedjew nach einem Jahr abtritt und Putin wieder das Feld überlässt. Ob sich der Medwedjew als Sesselwärmer wirklich eignet, wird sich zeigen müssen.