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Der Tod des tschetschenischen Rebellenführers Aslan Maschadow mag ein Propagandasieg für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sein. Ein Ende des blutigen Konflikts in der Region ist damit jedoch ferner denn je. Im Gegenteil - Maschadows Umgebung wie auch die EU warnten vor einer Radikalisierung innerhalb der Widerstandsgruppen. Viele Beobachter sehen gerade darin Putins Absicht, der damit einen Vorwand habe, den Krieg fortzusetzen.
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Mit der Ermordung des moderaten Ex-Präsidenten Maschadow habe der Kreml zugleich auch die letzte Illusion der Tschetschenen begraben, "die - aus welchen Gründen auch immer - noch an das so genannte Völkerrecht glaubten" und daran, dass "zivile Formen der Kommunikation mit dem jetzigen Regime in Moskau" möglich seien, schrieben die Widerstandskämpfer gestern auf ihrer Internetseite Kavkazcenter.com in Anspielung auf Maschadows jüngstes Angebot zu Friedensverhandlungen. Viele Beobachter sehen darin sogar den Grund für den vom Kreml angeordneten Mord. Putin hatte die Gespräche verweigert, war dadurch aber international unter Druck geraten. "Mit Maschadow hätte man Verhandlungen aufnehmen können". Nun könne Moskau mit Fug und Recht sagen, dass es keinen Verhandlungspartner auf Seiten der Rebellen gebe, meint etwa die Menschenrechtlerin Ljudmilla Alexejewa von der der Helsinki Group in Moskau.
Putins Eigentor
Profizieren wird vom Tod des Konkurrenten der weitaus radikalere, islamistisch orientierte Rebellenchef Shamil Bassajew. Dieser lehnt Verhandlungen mit Moskau ab und erklärte erst kürzlich, neue Terrorattentate nach dem Muster von Beslan zu planen. Auf sein Konto gehen weitere blutige Anschläge mit zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung. Maschadow wollte ihn deshalb sogar vor ein internationales Gericht bringen.
Politiker in Europa warnten gestern denn auch, dass sich dessen Ermordung im Rahmen des von Putins als Anti-Terror-Krieg getarnten Tschetschenien-Feldzugs als Eigentor erweisen könnte. "So bekämpft man Terrorismus nicht, so erzeugt man ihn", kritisierte der deutsche EU-Abgeordnete Bernd Posselt. Es sei ein "feiger Mord an dem 1997 unter Aufsicht der OSZE demokratisch gewählten tschetschenischen Präsidenten". Den moskau-treuen
"Aslan Maschadow wird im Tode für die Führung des Kremls sehr viel gefährlicher sein als er es selbst im Leben hätten sein können, als er zu einem friedlichen Dialog aufrief", kommenteirte Maschadows zwangsexilierter Gesandter in London, Achmed Sakajew Putins Todesbefehl.
Auch der SPD-Abgeordnete Rudolf Binding sieht die Lage im Kriegsgebiet nach der Ermordung Maschadows aussichtloser denn je. Er hätte aufgrund seiner großen Popularität in der tschetschenischen Bevölkerung als einziger die Autoriät zu Verhandlugen mit dem Kreml gehabt. Der Europarat will an dem für den 21. März geplanten Runden Tisch in Straßburg dennoch festhalten, betont der Tschetschenien-Berichterstatter.
Über die Umstände von Maschadows Tod vor zwei TAgen gab es zunächst nur Spekulationen. Laut der russischen Armee war der 53-Jährige von Geheimdienstagenten in einem Bunker in Tolstoi-Jurt 15 Kilometer nördlich der Hauptstadt Grosny aufgespürt und danach von einem seiner Leibwächter "irrtümlich" erschossen worden. Tschetschenen halten das jedoch für Propaganda. sie gehen davon aus, dass der tödliche Schuss von einem russischem Scharfschützen abgegeben wurde. Wieso Maschadow das Risiko einging, sein sicheres Hauptquartier im bergigen Süden zu verlassen, darüber wird ebenfalls gerätselt. Vermutet wird, dass er mit hohen russischen Militärs verhandeln wollte, von diesen jedoch in eine Falle gelockt wurde.
Das kriegsmüde tschetschenische Volk hat nun jedenfalls die letzte Hoffnung auf ein würdiges Ende des von Russland mit äußerster Brutalität geführten Feldzuges verloren.
Bisher 250.000 Tote
In dem mit Unterbrechung sieben Jahre währenden Krieg fielen nach Angaben der tschetschenischen Menschenrechtsorganisation OUF(K)L bereits jetzt 250.000 Tschetschenen, unter ihnen 32.000 Kinder und 80.000 Frauen, dem brutalen Vorgehen der Russen zum Opfer. 15.500 Personen sind spurlos verschwunden, 125.000 wurden in Folterlager gesteckt, 69.000 kamen dort nicht mehr lebend heraus. Und die Zahlen werden weiter steigen.