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Putin rudert vorsichtig zurück

Von Ines Scholz

Politik
Kurzes Händeschütteln mit Kerry auf dem Maidan.
© reu/Ogirenko

In Kiew fordert US-Außenminister Kerry Moskau zu Truppenabzug auf.


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Kiew/Moskau. Nachdem Moskau in den vergangenen Tagen ohne Rücksicht auf europäische Befindlichkeiten und amerikanische Warnrufe seine Muskeln spielen ließ und mit dem Quasi-Militärputsch auf der Krim unwiderrufliche Tatsachen schuf, präsentiert sich Wladimir Putin wieder deutlich konzilianter. Eine russische Annexion der ukrainischen Halbinsel sei nicht geplant, eine Militärinvasion - derzeit - nicht notwendig, versicherte der Kremlführer in Moskau. Auch würden dort keine prorussischen Separatistenbewegungen unterstützt, ließ Putin am Dienstag die Öffentlichkeit wissen.

Allerdings pochte er bei seiner ersten Pressekonferenzseit Ausbruch der Krim-Krise auf das Selbstbestimmungsrecht der mehrheitlich russisch-sprachigen Krim-Bevölkerung - ein Recht, das er der abtrünnigen Kaukasusrepublik Tschetschenien seit eineinhalb Jahrzehnten verweigert. "Nur die Bürger können und sollen über ihre Zukunft in einer freien und sicheren Willensentscheidung bestimmen", erklärte Putin mit Blick auf das von der Regionalregierung in Simferopol geplante Unabhängigkeitsreferendum Ende März.

Doch es waren nicht allein die verbalen Abrüstungssignale, die im Westen als zarte Hoffnung auf Appeasement verstanden wurden. Putin zeigt sich auch wieder bereit, in einen Dialog mit dem Westen zu treten. Russland nahm die Einladung des Nato-Generalsekretärs Anders Fogh Rasmussen zu einem Sondertreffen des Nato-Russland-Rats am heutigen Mittwoch an.

Vor allem die osteuropäischen Bündnispartner fühlten sich von Moskaus Truppenaufmarsch auf der Krim - den Putin gestern neuerlich dementierte - irritiert. Polens Regierung hatte deshalb für Dienstag eine Krisensitzung auf Grundlage von Artikel 4 beantragt. Diese Möglichkeit steht jedem Mitglied offen, wenn es in seiner territorialen Integrität, Unabhängigkeit oder in Sicherheit bedroht fühlt.

Auch die politische Gesprächsebene wird reaktiviert. Erstmals seit der Krim-Krise werden die Außenminister der USA und mehrerer EU-Länder - unter ihnen der Deutsche Frank-Walter Steinmeier - mit ihrem russischen Kollegen Sergej Lawrow zusammentreffen. Steinmeier, der bereits ein kurzes Tete-à-tete mit Putins Chefdiplomaten hatte, ringt derzeit besonders aktiv um ein Ende des Zerwürfnisses.

Berlin für Kontaktgruppe

Der Weg dorthin kann in seinen Augen nur über die Bildung einer internationaler Krim-Kontaktgruppe gehen. Ins Spiel gebracht hatte diese Variante ursprünglich Kanzlerin Angela Merkel. Seither setzt Berlin auf eine Strategie von Zuckerbrot und Peitsche: Für den Fall, dass sich Moskau dem Dialogangebot des Westens verweigert, drängt Steinmeier auf rasche und scharfe EU-Sanktionen. Gelegenheit dazu bietet der Ukraine-Sondergipfel, der am Donnerstag in Brüssel stattfindet. Lawrow muss also, so Berlins Kalkül, bereits auf der heutigen Außenminister-Konferenz in Paris Farbe bekennen.

Ein zusätzlicher Lackmustest für Moskau wird die ebenfalls für heute geplante Krim-"Mission" im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE). Mehrere Mitgliedsländer - darunter angeblich auch der US-Vertreter sowie ein Repräsentant des Vorsitzlandes Schweiz - würden versuchen, von Kiew aus nach Simferopol zu reisen, um sich ein Bild von der Lage zu machen, berichtete ein Diplomat, der anonym bleiben wollte, der Wiener Zeitung". Sollte den OSZE-Repräsentanten auf dem internationalen Flughafen Simferopol die Einreise verweigert werden, wäre dies ein diplomatischer Affront Moskaus, der im Widerspruch zu Putins jüngsten Deeskalationsbekundungen stünde und vermutlich der Startschuss für Boykottmaßnahmen - nicht nur der EU, sondern auch der USA.

Kurz vor dem gestrigen Besuch von US-Außenminister John Kerry in Kiew hatte Washington die Militärkooperation mit Russland bereits gänzlich eingestellt. Angedroht haben die USA den Russen zudem bereits Handelsbeschränkungen, Einreiseverbote und das Einfrieren von Guthaben wohlhabender russischer Staatsbürger auf US-Konten. Auch über einen Boykott des für Juni geplanten G-8-Treffens in Sotschi denkt die US-Regierung laut nach. Kerry hatte die russische Intervention auf der ukrainischen Krim jüngst als "unglaublichen Akt der Aggression" gegeißelt. In der ukrainischen Hauptstadt klang der Minister am Dienstag schon weitaus versöhnlicher. Der Kreml müsse seine Truppen wieder zurück in die Kasernen rufen, sagte er nach einem Treffen mit dem neuen Übergangspräsidenten Olexander Turtschinow und Interimspremier Arsenij Jazenjuk. Sonst bleibe den USA und ihren Partnern keine Wahl als Russland "politisch, diplomatisch und wirtschaftlich zu isolieren". Russland habe die Möglichkeit, die Krise zu entspannen - aber nicht mehr lange.

Den Ukrainern versprach Kerry vor seinem symbolträchtigen Abstecher auf den Maidan Unterstützung der USA - nicht nur im Kampf für Freiheit, auch gegen den drohenden Staatsbankrott; Washington gewährte dem Land Soforthilfe in der Höhe von einer Milliarde US-Dollar Hilfe für die Energieversorgung.

Europas Finanzmärkte reagierten erleichtert auf die jüngsten Entwicklungen. Der DAX in Frankfurt legte um 2,02 Prozent zu, der Leitindex in London 1,44 Prozent, in Moskau gab es ein Plus von mehr als fünf Prozent. Noch bleibt die Lage auf der Krim aber angespannt: Laut der ukrainischen Küstenwache blockierte die russische Marine am Dienstag die strategisch wichtige Meerenge von Kertsch zwischen der Krim und Russland. Russland entsandte zwei zusätzliche Kriegsschiffe ins Schwarze Meer - sie wurden vom Mittelmeerstützung Tartus in Syrien Richtung Krim beordert.