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Putin schafft Fakten

Von Ines Scholz

Politik
Russland Vizeverteidigungsminister Anatoly Antonow rechtfertigt Moskaus Vorgehen in Syrien. Schuld ist immer der Westen.
© reu/Zmeyev

Abwehrraketen und militärische Dauerpräsenz in Syrien, Atomwaffen in Kaliningrad. Moskau brüskiert den Westen.


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Moskau. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Wladimir Putin nicht mit neuen militärischen Hiobsbotschaften für den Westen aufwartet. Es sind keine Drohgebärden, es sind harte militärische Tatsachen, die der Kremlchef sukzessive schafft. Der Westen wirkt wie ein Zaungast, der dem russischen Treiben außer warnenden Worten kaum etwas entgegenzusetzen hat. Putin fühlt sich dadurch nur noch mehr bestärkt, die Manövrierfähigkeit des Nato-Bündnisses weiter einzudampfen. Eine Spirale, die fatal werden kann.

Syrien liefert das beste Beispiel. Dort ist es Russland mit wenigen Schachzügen gelungen, den Einfluss der Weltmacht USA de facto auszuhebeln. Putin verhinderte nicht nur erfolgreich einen Sturz seines syrischen Verbündeten Bashar al-Assad, mit Hilfe seiner Luftwaffe steht auch der von den Rebellen kontrollierte Ostteil der strategisch wichtigen Stadt Aleppo kurz vor dem Fall. Die Rückeroberung der zweitgrößten Stadt des Bürgerkriegslandes wird Assad die Kontrolle über den gesamten Westen Syriens sichern. Dafür nimmt Putin Kriegsverbrechen in Kauf: Aleppos Osten wird derzeit samt Spitälern und Einwohnern in Schutt und Asche gebombt, wie Grosny im Jahr 2000.

Gebiete, die unter Assads Kontrolle stehen, stärken Russlands Einfluss im Nahen Osten - und in Europa. Bisher war das an der Mittelmeerküste gelegene Tartus der einzige russische Luftwaffenstützpunkt im Mittelmeer. Der Vertrag zur Nutzung der Basis wurde bereits 1971 zwischen der Sowjetunion und Syrien unterzeichnet, seit 1977 ist er in Verwendung. Nun entsteht dort ein dauerhafter Marinestützpunkt für Russlands Flotte.

Seit Beginn des Militärengagements an der Seite Assads im September 2015 wurde die Militärbasis mit modernsten Waffensystemen und Kampfjets aufgerüstet. Von dort starten seither regelmäßig die Luftangriffe auf Stellungen der Assad-Gegner, heben russische Kampfjets ab, die ihre panzerbrechenden Bomben und Brandbomben - sogenannte Vakuumbomben - über dem Osten Aleppos abwerfen. Und auch nach einem allfälligen Ende des seit 2011 tobenden Syrien-Krieges mit hunderttausenden Toten wird Moskau im Mittelmeer militärische Präsenz demonstrieren: Die Regierung in Moskau kündigte am Montag an, in Tartus einen dauerhaften Marinestützpunkt einzurichten. Ein entsprechendes bilaterales Abkommen mit Damaskus war am Freitag unterzeichnet worden. Es umfasst die zeitlich unbegrenzte Stationierung von Kriegsschiffen, Hubschraubern, Soldaten, Söldnern und Kampfflugzeugen. Zahlen hält der Kreml geheim. Die Armada ist vielfältig: Moskau flog Angriffe mit Kampfjets vom Typ Suchoi Su-25-SM und Suchoi Su-30SM, Kampfhubschraubern vom Typ Mi-24 und Mi-8-Mehrzweckhubschraubern. Vor der syrischen Küste ankern inzwischen auch zwei russische Kriegsschiffe. Anfang des Monats wurde aus Russland zusätzlich das Raketenabwehrsystem vom Typ S-300 und S-400 nach Tartus und auf die neue russische Militärbasis in Latakia geschafft.

Russische Flugverbotszone

Es handele sich um ein Abwehrsystem, das niemanden bedrohe, versichert Moskau. Nur der russische Vizeverteidigungsminister Nikolai Pankow sprach Klartext: Für den Fall, dass die USA Stellungen von Assads Armee oder dessen Verbündeten angreifen sollten - ein Gedanken, mit dem die US-Regierung zuletzt liebäugelte-, werde Russland die feindlichen Jets ohne Vorwarnung abschießen. "Die russischen Basen in Tartus und Latakia sind übersät mit S-400 und S-300 Luftabwehrraketen, deren Reichweite eine Überraschung für nicht identifizierte Flugobjekte sein könnte", drohte der Vizeminister unverhohlen. Russland ist damit gelungen, was ursprünglich der Regierung von Präsident Barack Obama vorschwebte: Eine Flugverbotszone über Teilen Syriens einzurichten. Der militärische Spielraum für die USA und ihre Nahost-Verbündeten wird dadurch massiv eingeschränkt, falls die Nato-Macht keine offene Militärkonfrontation mit Putins Russland riskieren möchte.

Und auch in Europa schraubt der Kremlführer den Preis für Natos Interessen hinauf. Am Wochenende machte Moskau eine Drohung wahr, die es seit 2007 immer wieder in Erwägung gezogen hatte, dann aber davor abstand nahm: die Stationierung von Iskander-Kurzstreckenraketen in der Exklave Kaliningrad. Weil sie mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, sind vor allem die angrenzenden Nato-Staaten Polen und Litauen aufgeschreckt. Allerdings bedrohen die Iskander-M aufgrund ihrer Reichweite auch Deutschland.

Erst vor wenigen Tagen hat Putin das Abkommen mit den USA zur Vernichtung waffenfähigen Plutoniums auf Eis gelegt. Und am Montag versuchte Putin in Istanbul, den von den USA verprellten Nato-Partner Türkei im Syrien-Konflikt auf eine enge Militärkooperation mit Moskau einzuschwören. Putins Empfang in Paris steht derweil noch in den Sternen. Präsident Francois Hollande, der Russland wegen der Kriegsverbrechen in Aleppo zur Verantwortung ziehen will, stellte gestern das für nächsten Mittwoch geplante Treffen in Frage.