Solange Russlands Präsidenten die bewaffneten Machtapparate Armee, Polizei und Geheimdienst die Stange halten, bleiben Demonstrationen erfolglos.
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"Natürlich gab es Verstöße, aber das wird man aufklären", gestand Wladimir Putin ein, nachdem er mit 64 Prozent zum russischen Präsidenten gewählt worden war. In den Protestzentren Moskau und St. Petersburg hatte er aber die absolute Mehrheit verfehlt. Die gut ausgebildete junge "Intelligenzija" desertierte ebenso wie jenes Fünftel der Russen, dem es als Mittelschicht gut geht. Das ist die Bürgergesellschaft, die Putins Partei "Einiges Russland" mit "Partei der Diebe und Betrüger" punzierte. Einige Beobachter erwarten deshalb, dass Putin die sechsjährige Amtszeit nicht überleben dürfte. Das setzt allerdings voraus, dass sein Machtapparat korrodiert. Die Mehrheit der Russen wünscht Stabilität. Das mag vorhalten, wenn die Wirtschaft weiterhin jährlich um vier Prozent wächst und es den 40 Prozent Bettelarmen im Land weniger erbärmlich geht. Natürlich weiß der frühere KGB-Spitzenmann Putin, der 1998 und 1999 den KGB-Nachfolger FSB kommandierte, dass den Augen und Ohren des Geheimdienstes nichts entgeht. Notfalls hält die Omon-Sondereinheit des Innenministeriums Demonstrationen und Oppositionelle mit Beihilfe der Justiz in Schach.
Das Bedürfnis der Russen nach Sicherheit hatte Putin zwei Wochen vor der Wahl gestillt: mit der Ankündigung einer "beispiellosen" Aufrüstung im Wert von 580 Milliarden Euro, denn "unsere Sicherheit kann nur garantiert sein, wenn das Land wirklich stark wird". Das hält den "militärisch-industriellen Komplex" wie seit Stalin bei der Stange. Rechnet man noch die vom FSB kontrollierte Polizei hinzu, dann sichern alle Waffenträger des Landes die Stabilität des Putin-Systems. Putins Leute kontrollieren auch alle großen TV-Stationen. Ihnen beantwortete Putin in Talkshows vor den Wahlen alle Gefälligkeitsfragen.
Doch in einem Fall geriet er arg ins Schwimmen. Ein Interviewer riskierte nämlich die Frage, warum die Soldaten in Fernost nicht die zwei Monate zuvor dekretierte Solderhöhung um 150 Prozent bekämen. Putin stotterte herum, und der Interviewer schob sogleich eine Gefälligkeitsfrage nach, um die Situation zu retten. Immerhin zeigte das an, wie Putin die Loyalität der Armee absichert. Was richtet eine Opposition gegen diesen Machtapparat aus? Wie lange hält die Opposition Demonstrationen durch, zu denen Ex-Präsident Michail Gorbatschow nach den Wahlen mit Nachdruck ermuntert hat?
Der Altkommunist Gennadi Sjuganow sammelte noch 17 Prozent Sowjet-Nostalgiker ein, zusammen brachten es die Kandidaten der Opposition auf rund 35 Prozent. Weil sie aber heillos zerstritten sind, hilft vorläufig auch der "Internet-Untergrund" nach arabischem Muster wenig. Der Opposition fehlt eine zugkräftige Leitfigur. Daher sagte Putin zur Opposition "Sehr erfreut" und bat ihre Anführer zu einem Gespräch. Das erinnert an sein Wahlversprechen von 2004 - "Freie Menschen in einem freien Land" - und die Anbiederung des deutschen Ex-Kanzlers Gerhard Schröder: "Ein lupenreiner Demokrat." Wladimir lohnte es seinem Du-Freund Gerhard mit einem Ehrensold in der russischen Erdölindustrie.