Das Bündnis zwischen Weißrussland und Russland wird wieder einmal auf die Probe gestellt. Ein Streit um russisches Erdöl könnte im Ergebnis Minsk noch enger an Moskau binden.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 5 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Moskau/Minsk. Es ist fast schon ein Ritual, das sich jedes Jahr rund um den Jahreswechsel vollzieht: das für beide Seite lästige Gezerre zwischen Weißrussland und seinem übermächtigen russischen Nachbarn. Einmal geht es um Lebensmittel, dann um Grenzfragen zwischen den beiden formal in einer Union verbundenen Staaten. Dieses Jahr wird wieder um Öl und Gas gestritten. Nichts Neues, möchte man meinen.
Und doch hat unter Politikbeobachtern vor allem in Weißrussland die Unruhe in den letzten Wochen und Monaten zugenommen. Zu oft haben sich die beiden Präsidenten, der weißrussische Autokrat Alexander Lukaschenko und Kreml-Chef Wladimir Putin, getroffen, und zu mager blieben die Ergebnisse der jeweiligen Gespräche. Dass sich Lukaschenko nach den Unterredungen mit Putin immer wieder genötigt sah, ostentativ auf Weißrusslands Unabhängigkeit zu pochen, gab Anlass zu Spekulationen, Russland plane ein weiteres "Sammeln russischer Erde", eine Eingliederung des Nachbarn - ein Szenario, vor dem einige prowestliche weißrussische Sicherheitsexperten spätestens seit der Annexion der Krim durch Russland warnen.
Wie ernst solche Warnungen zu nehmen sind, ist freilich umstritten. Manche verweisen auf ein mögliches Motiv Putins: 2024 endet seine vierte Amtszeit. Laut Verfassung müsste er dann seinen Platz im Kreml räumen. Eine Möglichkeit, dennoch die Fäden in der Hand zu behalten, böte sich mit einer Vertiefung der Union zwischen Belarus und Russland an, die es seit 1999 gibt.
Auf Russland angewiesen
Die existiert derzeit de facto nur auf dem Papier. Würde man sie aber zu einem staatsähnlichen Gebilde ausbauen, könnte Putin als Unionspräsident weiter am Schalthebel der Macht sitzen - und auch innenpolitisch punkten.
Viele Russland-Experten wie etwa Gerhard Mangott halten eine solche Variante allerdings für "sehr unplausibel". Der Politologe von der Universität Innsbruck sieht in dem aktuellen russisch-weißrussischen Erdgaskonflikt vor allem einen Versuch Russlands, zu verhindern, dass auch noch der weißrussische Nachbar - wie etwa Georgien und die Ukraine - Richtung EU abdriftet.
In dem aktuellen Streit stößt sich Belarus vor allem daran, dass Russland statt der bisherigen Exportzölle auf Rohöl dieses vermehrt förderbesteuert. Bisher hatte Russland billiges, unbesteuertes Erdöl zollfrei an Belarus geliefert. Dort wurde und wird es verarbeitet und mit Gewinn nach Westen verkauft. Dieses für das finanzschwache Weißrussland so wichtige Geschäft droht Minsk nun zu verlieren - denn das förderbesteuerte Öl, das Russland jetzt anbietet, ist deutlich teurer. Belarus dürften mehrere Milliarden US-Dollar jährlich entgehen.
Lukaschenko will für diese Einnahmensverluste eine Entschädigung von Moskau. Er pocht auf seinen Status als Verbündeter. Und er stellt Moskau die Rute ins Fenster: Man könne auch anders, etwa Öl aus dem Baltikum beziehen. "Wenn die russische Regierung ihren einzigen Verbündeten im Westen verlieren will, ist das ihre Wahl", meinte er lakonisch.
Doch Lukaschenkos Drohgebärden sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass er am kürzeren Ast sitzt. "Belarus könnte ohne Mitgliedschaft in Russlands Eurasischer Wirtschaftsunion etwa gar nicht überleben", sagt Mangott. "Lukaschenkos jüngste Drohungen, aus dieser Union auszutreten, sind deshalb nicht glaubwürdig." Und als geopolitische Alternative in Europa bliebe dem Autokraten in Minsk nur die EU. Dort pocht man aber trotz aller Annäherung an Weißrussland auf Rechtsstaatlichkeit - und davon ist das Belarus des Alexander Lukaschenko weit entfernt.
Auch Moskau, das den Streit nutzen will, um Belarus enger an sich zu binden, kann kein Interesse an Instabilität bei seinem Verbündeten haben. "Deshalb wird es wohl einen Kompromiss geben - aber einen, der Weißrussland stärker in die Pflicht nimmt", vermutet Mangott. Und damit die Bande zwischen Minsk und Moskau weiter verstärkt.