Zum Hauptinhalt springen

Putins Besuch in seinem Hinterhof

Politik

Putins Reise nach Minsk bestärkt Befürchtungen, dass die weißrussische Front wieder verstärkt genutzt werden soll.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ukrainer, die an der Grenze zu Belarus (Weißrussland) leben, sind beunruhigt: Dass russische Truppen in dem Nachbarland seit Wochen wieder verstärkt aufmarschieren, löst Befürchtungen aus, dass von dieser Seite ein Angriff drohen könnte. Und diese Beunruhigung hat am Montag neue Nahrung bekommen, als Russlands Präsident Wladimir Putin zum ersten Mal seit dem Jahr 2019 Belarus besucht hat.

Gesprochen wurde dabei über die strategische Partnerschaft der beiden Länder, die einen Unionsstaat bilden, sowie über regionale und internationalen Fragen, teilte der Kreml mit. Die Kooperation der beiden Verbündeten sollte noch einmal verstärkt werden.

Doch könnte der Besuch Putins mehr gewesen sein als die offiziell ausgegebene Arbeitsvisite. Vor allem verwundert, dass in den vergangenen zwei Jahren Weißrusslands Diktator Alexander Lukaschenko zwölf Mal nach Russland gereist ist und nun Putin plötzlich wieder in Belarus auftaucht. Das könnte bedeuten, dass Putin der Nordfront im Krieg, die über Belarus, das mit der Ukraine eine 1.084 Kilometer lange Grenze teilt, verläuft, wieder mehr Aufmerksamkeit schenken will. Just am Tag von Putins Besuch hat Russland angekündigt, in Belarus taktische Manöver abzuhalten.

Russische Präsenz bindet ukrainische Truppen

Von Belarus aus hat Russland zu Beginn seines Angriffskrieges Truppen zur Eroberung von Kiew in Marsch gesetzt. Das war vergeblich, doch es besteht die Möglichkeit, dass Russland erneut einen Großangriff von dieser Flanke aus startet.

Eine derartige Offensive droht laut Experten nicht unmittelbar. Denn bei dem einbrechenden Winter ist fraglich, inwieweit da die Witterung mitspielt. Außerdem hat Russland nicht genügend Soldaten im Land: Derzeit halten etwa 9.000 russische Soldaten Übungen mit den belarussischen Streitkräften ab. Aber allein schon die Möglichkeit eines derartigen Angriffs - den auch der ukrainische Generalstab nicht ausschließt - bindet Kräfte, die die Ukraine besser in den derzeit heftig umkämpften Regionen, etwa im Donbass oder rund um Cherson, gebrauchen könnte.

Die Mannstärke von Putins Heer könnte sich aber steigern, wenn Belarus ebenfalls Soldaten für den Angriffskrieg gegen die Ukraine bereitstellt. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hat das zwar mehrfach in Abrede gestellt, doch kooperieren die beiden Staaten immer enger miteinander, sodass es Experten nicht einmal mehr wundern würde, wenn die belarussische Armee in die russische auf lange Sicht eingegliedert wird.

Bande nach Europa zerschnitten

Lukaschenko befindet sich hier in einer sehr schwierigen Lage. Nachdem der Diktator vor rund zwei Jahren Oppositionsproteste brutal niederschlagen ließ, hat er fast sämtliche Bande nach Europa zerschnitten und sich der Unterstützung aus dem Kreml ausgeliefert. Belarus ist wirtschaftlich und politisch von Russland abhängig. Sollte Putin also Lukaschenko bedrängen, Truppen in die Ukraine zu entsenden, kann dieser das nicht so leicht abschlagen.

Gleichzeitig riskiert er damit innenpolitisch viel: Lukaschenko hat immer damit geworben, dass er das Land vor dem Chaos bewahrt - und vor dem Krieg. Somit rechtfertigen auch die noch verblieben Anhänger Lukaschenkos die Nähe zu Russland - dies würde dem 9,4-Millionen-Einwohner-Land das Schicksal der Ukraine ersparen. Wenn nun belarussische Soldaten an der Seite Russlands kämpfen, wären die Familien des Landes doch in einen Krieg hineingezogen - was laut Politologen eine überwältigende Mehrheit ablehnt.

Oppositionelle haben in so einem Fall schon mit Anschlägen gegen Militäreinrichtungen gedroht. Ob ein breiter Widerstand noch einmal möglich ist, ist aber fraglich. Lukaschenko hat diesen vorerst mit Massenverhaftungen gebrochen, zudem sind viele seiner schärfsten Gegner im Exil.

Deutliche Worte zum Putin-Besuch kamen indes schon aus der Ukraine.  "Egal, was in Minsk geplant wird, es wird ihnen genauso wenig helfen wie alle anderen kranken Ideen in diesem Krieg gegen die Ukraine und die Ukrainer", verkündete Präsident Wolodymyr Selenskyj. (red)