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Putins Déjà-vu

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Wladimir Putins Spielraum wird in Zukunft nicht größer werden.


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Ein russisches Sprichwort sagt:

"Russkiy chelovek zadnim umom krepok - einem Russen kommen die besten Gedanken erst hinterher." Doch die Lernkurve des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist bemerkenswert flach. Mit der Annexion der Krim und der offenen Unterstützung prorussischer Separatisten in der Ost-Ukraine nach der Maidan-Revolution in Kiew hat Putin es geschafft, die Ukraine in die Arme des Westens zu treiben. Das Land, das sich immer als Brücke zwischen Europa und Russland verstanden hat, ist heute im europäischen Lager.

Nun geht es mit der offenen Unterstützung des weißrussischen Autokraten Alexander Lukaschenko weiter - für Putin ein Déjà-vu. Putin stellt zudem unter Beweis, dass die Auswahl der Instrumente im Moskauer Polit-Werkzeugkasten ziemlich begrenzt ist: Politische Gegner werden von Kreml-Handlangern mittels Nowitschok-Nervengift, Dioxin, Polonium oder Schussattentaten aus dem Weg geräumt. Nachbarländer werden als Vasallenstaaten betrachtet - streben sie nach mehr Unabhängigkeit, kommen - wie im Falle der Krim - die grünen Männchen.

Eine offene Unterstützung zugunsten des weißrussischen Autokraten Lukaschenko bedeutet für den Kreml, dass er sich nicht nur die Gegner Lukaschenkos zu Feinden macht; mit einem noch offensiveren Eingreifen würde er auch riskieren, weißrussische Patrioten, die mit der Opposition vielleicht gar nicht allzu viel anzufangen wissen, aber ausländische Interventionen als schreckliche Demütigung empfinden, vor den Kopf zu stoßen.

Der 66-jährige Lukaschenko - seit 1994 weißrussischer Präsident - ist jedenfalls definitiv angezählt.

Wie schrieb der polnische Reporter Ryszard Kapuscinski in seinem 1982 erschienen Buch "Schah-in-schah" über die iranische Reevolution? Jedes Buch über eine Revolution sollte auf jenen Moment fokussieren, an dem Menschen ihre Angst vor der Staatsgewalt verlieren und den Geschmack von Freiheit auf der Zunge haben. Ohne einen solchen Moment gäbe es keine Revolution.

In Weißrussland scheint dieser Moment nun gekommen. Aber: Der Loslösungsprozess der Ukraine aus dem Orbit Russlands begann im Jahr 2004 mit der Orangen Revolution und endete erst zehn Jahre später mit der Maidan-Revolution in Kiew. Ein Wandel in Minsk könnte also noch einige Jahre auf sich warten lassen.

Für Putin wird der Spielraum aber nicht größer werden: Russland ist militärisch längst zur Regionalmacht degradiert, in puncto Wirtschaftsleistung liegt es zwischen Italien und Spanien. Die sinkende Bedeutung des Erdöls für die Weltwirtschaft wird es ihm nicht leichter machen, sich einem weiteren Abstieg Russlands entgegenzustemmen.