Zum Hauptinhalt springen

Putins Humor

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Über den postmodernen Umgang mit Macht.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Szene hat das Zeug zum Klassiker. Bei seinem umstrittenen Wien-Besuch wurde Wladimir Putin in der Wirtschaftskammer von Christoph Leitl mit den Worten begrüßt: "Ich bin schon so lange Präsident, dass ich Sie nun schon zum dritten Mal begrüßen darf." Diese Worte quittierte der andere, der russische Präsident, völlig unvermittelt mit dem Ruf: "Diktatur!"

Was nun folgte, war eine äußerst interessante Schrecksekunde. Einen kurzen Moment lang hatte die Überraschung die anderen Protagonisten völlig gelähmt. Denn plötzlich hatte der Autokrat auf einer ganz anderen Klaviatur gespielt. Und das auch noch doppeldeutig. Denn der Ausruf war sowohl selbstironisch als auch irgendwie aufklärerisch und dissident. Gab er doch "dem Westen" dessen Botschaft zurück: Ihr schimpft mich Diktator - und was seid ihr? Beides war gleichermaßen unerwartet und - man kann es nicht anders sagen - wirklich lustig.

Laut Freud ist der Witz ja eine Möglichkeit, Verdrängtes auszuleben, Verbotenes auszusprechen, Konflikte zu entladen. Damit ist er eine Technik zum Lustgewinn. Und so folgte nach der Schrecksekunde auch das befreiende Lachen in der Wirtschaftskammer. Offen aber blieb die Frage: Wie passt Selbstironie zu einem Autokraten?

Klassische Diktatoren sind alles andere als selbstironisch. Sie kennen keine Distanz zu sich selbst oder zu ihrer Funktion. Ebenso sind ihre Worte aufgeladen mit ihrer Autorität von heiligem Ernst. Putin hingegen hat mit diesem Witz gezeigt, dass er etwas anderes ist. Er ist ein postmoderner Autokrat. Ein solcher kann es sich erlauben, mit Zeichen zu spielen. Ein solcher kann auch mal die Außenperspektive auf sich selbst einnehmen. Während es für den klassischen Diktator keine Position neben der seinen gibt und geben darf, kann Putin auch mal - in aller Zweideutigkeit - die Position des Kritikers einnehmen. Er kann auch diesen Diskurs, auch diese Rolle geben. Und er kann vor allem blitzschnell wechseln. Er kann das, weil Autokratie eine andere Form der Machtausübung als klassische Diktatur ist.

Putins Russland ist nicht die Sowjetunion. Seine Herrschaft beruht nicht nur auf direkter Unterdrückung. Sie ist zugleich viel raffinierter. So funktioniert seine mediale Herrschaft nicht wie die frühere Propagandalüge, die eine heile Welt präsentierte. Heute werden Missstände im russischen TV gezeigt - aber nur um Putin als deren Lösung zu inszenieren. Ebenso wird auch die Opposition nicht einfach nur unterdrückt. Vielmehr wird eine Pseudo-Opposition zugelassen: Simulationen von Opposition, von anderen Parteien, von anderen politischen Diskursen. Ein "System von virtueller Politik" wurde hier seit den 1990er Jahren eröffnet (Peter Pomerantsev) als ein Spiel unterschiedlicher Positionen, die keinen wirklichen politischen Unterschied machen. Genau das ist gelenkte Demokratie. (Erst in den letzten Jahren bekam dieses System echte Gegner, für die sich das Spiel schnell aufhörte.)

Dieser postmoderne Umgang mit Macht blitzte in der Schrecksekunde in der Wirtschaftskammer auf - und brachte die Leute zum Verstummen. Aber Putin überholte sie alle noch einmal: "Aber gute Diktatur!", rief er hinterher. Und die Leute lachten, als wäre das die Erlösung. Gute Diktatur - gibt es für ihn denn eine andere?