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Putins Inszenierung einer Demokratie

Von Wolfgang Tucek

Politik

Am Sonntag sollen die Tschetschenen einen neuen Präsidenten wählen - den von den Russen eingesetzten Verwaltungschef Achmed Kadyrow. Alle anderen aussichtsreichen Kandidaten wurden vom Kreml ausgeschalten, in Tschetschenien herrscht nach wie vor die Gewalt. Und Russlands Präsident Wladimir Putin spricht von einer "politischen Lösung" und der "Normalisierung" der Lage in der Kaukasus-Republik.


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In den staatlichen Medien leben die Tschetschenen in Frieden und freuen sich auf die bevorstehende Gänseblümchendemokratie - Anarchie, Kritik am Vorgehen russischer Soldaten oder gar Todesschwadronen gibt es nicht in dieser heilen Welt, die Putin der Weltöffentlichkeit vorspielt. Gut ja, es gibt vereinzelt "Terroristen, deren Strukturen weitgehend zerschlagen sind". Und die arbeiten gegen das tschetschenische Volk, das sich im Zuge der "politischen Lösung" des Konflikts am 23. März per Referendum mit überwältigender Mehrheit für den immerwährenden Verbleib ihres Landes in der Russischen Föderation ausgesprochen hat. Schade, dass keine unabhängigen Beobachter dieses glorreiche Abstimmungsergebnis bestätigen konnten.

Vermehrt Rebellenaktionen

Auch die Militärs trauen der von offizieller Seite verkündeten Ruhe nicht. "Jetzt vor den Wahlen nehmen die Aktivitäten der Rebellen wieder zu. Jeden Tag spüren unsere Experten in Grosny ein bis zwei Sprengsätze mit Fernzünder auf", berichtet Oberstleutnant Alexej Wassiljew, Kommandeur einer beim ausgebombten Flughafen der Hauptstadt stationierten Minenräumeinheit. Seine Männer können gar nicht alle Bomben rechtzeitig finden. In den letzten zwölf Monaten sind im Nordkaukasus mehr als 210 Menschen Terroranschlägen zum Opfer gefallen. Im Schnitt sterben jeden Tag drei russische Soldaten oder Polizisten in Tschetschenien, das etwas kleiner ist als die Steiermark. Jeden Tag werden Menschen verschleppt oder ermordet. Maskierte Täter, die mit Militärfahrzeugen kommen, sorgen in den Dörfern für Angst und Schrecken. Moskau hat in der Teilrepublik nach eigenen Angaben noch etwa 40.000 Soldaten stationiert, inoffizielle Schätzungen gehen von der doppelten Anzahl aus. Und die wagen sich nur tagsüber aus ihren Kasernen, wenn Spezialisten zuvor die Straßen nach Sprengsätzen abgesucht haben.

Die russische Regierung, die im Vorfeld der Wahlen für die Ausschaltung aller relevanten Gegenkandidaten Kadyrows gesorgt hat, will der Welt dagegen die "Normalisierung" der Situation einreden. Die ersten Reparationszahlungen an Kriegsopfer wurden bewilligt und die Tschetschenien-Befugnisse plakativ zu Beginn des Wahlkampfes vom Inlandsgeheimdienst FSB an das Innenministerium übergeben. Real macht das kaum einen Unterschied. Denn das russische Innenministerium verfügt über mehrere zehntausend Mann starke Sondertruppen, deren Kommandant, General Wjatscheslaw Tichomirow, prompt zur Übernahme der Geschäfte am 1. September in Grosny erschien. Operativer Leiter der künftigen "Befriedungseinsätze" wird Jurij Malzew, zuvor ein hoher Offizier des Militärgeheimdienstes GRU.

Kadyrows Truppen

Und der GRU kümmert sich auch um die Ausbildung und das Training von Kadyrows persönlicher Leibwache, die dessen Sohn Ramsan unterstellt ist. Die Truppe verfügt offiziell nur über 63 Mann, der FSB schätzt sie aber eher so um die 5.000 Bewaffnete. Und ihr Anführer Ramsan ist ein wild entschlossener Wahlhelfer seines Vaters, der vor nichts zurückschreckt. Für den richtigen Ausgang der Wahl "tue ich alles, was nötig ist. Wenn nötig, kämpfe ich. Nach den Wahlen rechnen wir mit allen ab, die uns beleidigt haben", sagte der junge Kadyrow im tschetschenischen Fernsehen.

Aus für Gegenkandidaten

Mit einem besonders perfiden Plan wollte Ramsan den bis 11. September letzten ernst zu nehmenden Gegenkandidaten seines Vaters, Malik Saidullajew, ausschalten. Er entführte einen Leibwächter von Saidullajew und versuchte ihn mit Drohungen und Prügel dazu zu überreden, seinen Schützling in die Luft zu sprengen. Der Bodyguard stimmte aus Angst um sein Leben zu, floh aber und erstattete Anzeige, berichtete die "Nowaja Gaseta", eines der wenigen kritischen Blätter.

Der wegen seinem humanitären Engagement in Tschetschenien beliebte Saidullajew war Kadyrow in den Umfragen weit voraus. Ihm wurden vom Kreml zuerst Kompensationszahlungen für einen Kandidaturverzicht angeboten. Als er abwinkte, wurde er per Gerichtsbeschluss "wegen Formfehlern" von der Kandidatenliste gestrichen. Russische Menschenrechtsgruppen kündigten daraufhin an, am 5. Oktober keine Beobachter in den Kaukasus zu entsenden, um "solchen Wahlen keine Legitimität" zu verleihen.

Zuvor waren bereits die ebenfalls chancenreichen Bewerber Aslambek Aslachanow und Hussein Dschabrailow vom Kreml zur Aufgabe überredet worden. Der tschetschenische Duma-Abgeordnete Aslachanow wurde kurzerhand zu Putins persönlichem Berater für Südrussland ernannt, was mit der tschetschenischen Präsidentschaft unvereinbar ist - erledigt.

Der erfolgreiche tschetschenische Geschäftsmann Dschabrailow zog seine Kandidatur am 2. September nach einer Unterredung mit dem Chef der russischen Präsidialverwaltung, Alexander Woloschin, überraschend zurück. Der habe ihn aber keineswegs unter Druck gesetzt, beteuerte Dschabrailow nicht sehr überzeugend. Dabei hätte er mächtige Verbündete in Tschetschenien gehabt. Der Stellvertreter des russischen Militärkommandanten in Grosny Said-Magomed Kokijew, der sich Dschabrailow für diverse frühere Hilfsdienste persönlich verbunden fühlte, und der Presseminister Bislan Gantamirow hatten den 42-Jährigen unterstützen wollen.

Willkür in Grosny

Gantamirow kostete das den Job. Kadyrow löste umgehend das Presseministerium auf und unterstellte das Medienmonopol dem Nationalitätenministerium, dem praktischerweise Kadyrows Wahlkampfmanager vorsteht. Neben diesen handstreichartigen politischen Schachzügen terrorisiert die Privatarmee der Kadyrows ungeniert die Zivilbevölkerung. Kein Wunder, dass die Tschetschenen laut Umfragen genau wissen, wen sie nicht wollen - und zwar zu zwei Drittel den jetzigen Verwalter.

Der sei aber als einzig aussichtsreicher Kandidat geblieben, kritisiert auch der Russland-Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Rudolf Bindig. Die Tschetschenen hätten somit keine "echte Wahlmöglichkeit". Nun sei zu befürchten, dass die Gewalt nach der Wahl vom Sonntag noch weiter eskalieren werde. "Ich fürchte, die Lage wird schlimmer sein denn je", sagte Bindig.

So sieht das auch der 1997 demokratisch gewählte, seit 2000 von den Russland nicht mehr anerkannte und jetzt im Untergrund lebende tschetschenische Präsident Aslan Maschadow, der die Wahlen als "Farce" bezeichnete und die Fortführung des Kampfes gegen die russischen "Henker" ankündigte.