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Die Atempause im Konflikt zwischen Moskau und Kiew war nur von kurzer Dauer, bereits am Donnerstag drohte die Situation mit dem Beschluss des Krim-Parlaments über einen sofortigen Anschluss der Halbinsel an Russland erneut gefährlich zu eskalieren.
Russland treibt hier ein gefährliches Spiel, zumal diese Strategie auch den eigenen Interessen zuwiderläuft. Aber in Krisen und Revolutionen sind nüchternes Kalkül und gesunder Hausverstand oft die ersten Opfer. Das Chaos, das solchen Situationen zu eigen ist, tut ein Übriges.
Ein Anschluss der - mehrheitlich russischsprachigen - Krim an Russland ist aus Moskauer Sicht zuvorderst eine Provokation gegenüber der neuen Regierung in Kiew, eine Demonstration ihrer Machtlosigkeit. Für den Kreml ist entscheidend, dass der strategische Brückenkopf im Schwarzen Meer erhalten bleibt; unter welcher Flagge, ist in Wirklichkeit sekundär. Tatsächlich würde ein Verbleib der Krim bei der Ukraine ein fortgesetztes Mitspracherecht Moskaus in innerukrainischen Angelegenheiten bedeuten.
Dagegen wäre ein Anschluss der Halbinsel ein brisanter Präzedenzfall - und zwar vor allem für das Vielvölkerreich selbst. Neben den Russen, die rund 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, leben im größten Staat der Erde fast 100 weitere Volksgruppen. Etliche verfügen sogar über eine gewisse Autonomie; und manche, zuvorderst im Kaukasus, würden den Zwangsverbund lieber heute als morgen verlassen.
Das Hochhalten staatlicher Integrität, wenigstens dem schieren äußeren Schein nach, war deshalb - neben der rüden Durchsetzung der eigenen nationalen Interessen - stets eines der obersten Prinzipien russischer Außenpolitik, auf der etwa bis heute die Ablehnung der Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien fußt. Genau in diesem Punkt treffen sich auch die gemeinsamen Interessen Moskaus und Pekings. Bricht Wladimir Putin mit diesem Prinzip, wird ihm China mit seinen ebenso zahlreichen Minderheiten nicht länger international die Schweigemauer machen.
Seit dem Ausbruch der Krise liegt auf der Hand: Die USA und Europa würden liebend gerne, sofern nur irgend möglich, die harte Konfrontation mit Russland vermeiden. Im Moment schaut es so aus, als ob Putin die beiden Zauderer dazu zwingen möchte. Welcher Logik er damit folgt, behält er noch für sich. Vielleicht weiß er es auch selbst noch nicht.