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Putins "nationale Erneuerung" als Modell

Von Hans-Georg Heinrich

Analysen

Warum Russland für Europas rechten und linken Rand so attraktiv ist.


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Der von vielen befürchtete Rechtsruck im Europäischen Parlament ist nicht eingetreten. Trotzdem ist es auffällig, dass
in einigen EU-Mitgliedsstaaten rechtsextreme und rechtspopulistische, gegen die EU auftretenden Parteien an die erste Stelle gewählt wurden. Vor dem Hintergrund der Geschichte des europäischen Rechtsradikalismus ist es auch auffällig, dass es in allen EU-Ländern rechtsextreme Parteien gibt, die Russland (oder dessen Präsidenten Wladimir Putin) unterstützen. Weniger überraschend ist die Tatsache, dass solche Parteien von Russland finanziell und rhetorisch unterstützt werden. Die Annexion der Krim durch Russland hat daran wenig geändert. So erklärte Neil Farage, der Führer der britischen UK Independence Party, dass er zwar die Annexion der Krim nicht unterstütze, dass aber die "EU Blut an ihren Händen habe", weil sie "Russland provoziert" hätte.

Der Schwerpunkt der Programmatik der Rechtsaußen-Parteien liegt traditionell auf der Innenpolitik, wo die "nationale Erneuerung" stattfinden soll. Es werden auch vor allem lokale oder regionale Probleme angesprochen, wie z.B. die Frage der Sinti und Roma im Bezirk Bánska Bystrica durch den slowakischen Ultranationalisten Marian Kotleba. Bei den außenpolitischen Positionen der rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien gibt es jedoch einige Unterschiede, welche vor allem aus der geopolitischen Lage der jeweiligen Staaten erklärt werden können. So wird Russland von rechtspopulistischen Parteien in Finnland, Lettland und Rumänien kritisiert. Diese Staaten haben Konflikte mit Russland. Die starke Hinwendung Marine Le Pens und der Front Nationale zu Russland hat sichtlich auch damit zu tun, dass Frankreich Rüstungsgeschäfte mit diesem Staat tätigt. Besonders stark werden Russland und Putin unterstützt von rechtsradikalen und populistischen Parteien in Österreich, Belgien, Bulgarien, Deutschland (NPD), Griechenland, Ungarn, Italien (Lega Nord), Litauen, Polen (Kongres Nowej Prawicy), Großbritannien, der Tschechischen Republik und der Slowakei. Rechtspopulistische Parteien in Kroatien, Dänemark, Estland, Holland, Polen und Schweden legen eine zwar zu Russland offene, aber neutrale Haltung an den Tag.

Re-Nationalisierung

Was macht Russland für rechte Parteien so attraktiv? Einmal kann Russland unter Putin für die "nationale Erneuerung" als Modell dienen. Die von einem starken Führer wahrgenommenen "nationalen Interessen" treten hier auf Kosten der Menschenrechte in den Vordergrund. Zu den "nationalen Interessen" zählen auch die Interessen der heimischen Industrie und die staatliche Kontrolle der strategisch wichtigen Branchen. Dazu passt auch die Ablehnung der Globalisierung, welche aus der Sicht dieser Parteien zu einer Abhängigkeit vom internationalen Großkapital und zu einer unkontrollierbaren Einwanderung geführt hat. Da sowohl die USA als auch die EU eine weitere Liberalisierung für notwendig halten, werden beide nicht nur kritisiert, sondern geradezu als Feindbild aufgebaut. Bei den rechtsextremen Parteien ist der Mythos einer jüdischen Weltverschwörung eine wichtige Komponente dieses Feindbildes. Der Wertekanon der konservativen Revolution unter Putin, der sich dabei auch der Unterstützung der orthodoxen Kirche sicher weiß, wird von den meisten europäischen Rechtsparteien (nicht zum Beispiel von Geert Wilders Partij voor de Vrijheid) geteilt. Putins Kampf gegen "Gayropa" findet Widerhall bei Milieus, welche sich von der gesellschaftlichen Liberalisierung bedroht fühlen. Bei ihrem Kampf gegen das von ihnen so wahrgenommene Meinungsmonopol der politisch Korrekten finden sich rechts- und linksextreme Parteien, die beide gegen den Mainstream auftreten und sich als dessen politische Opfer sehen. Die Haltung Putins, sich gegen die globale Dominanz der USA aufzulehnen und die Spielregeln in der internationalen Arena neu zu schreiben, kommt dem Interesse der Rechten an einer Re-Nationalisierung entgegen, weil diese befürchten, allein der Willkür der Supermacht USA und deren Konzerne ausgeliefert zu sein. In dieselbe Kerbe schlägt der starke Etatismus und Zentralismus des Putin’schen Modells: Demnach kann nur ein "starker Staat" die "nationalen Interessen" durchsetzen.

Es ist nicht anzunehmen, dass die nach den Wahlen zum Europaparlament eingetretene Kräftekonstellation etwas an den außenpolitischen Interessen und Position der EU ändern wird. Was aber bereits im Verlauf des Wahlkampfes feststellbar war, ist der Griff nach der Meinungsführerschaft durch die Rechten, wodurch die konservativen und sozialdemokratischen Parteien sich veranlasst sehen könnten, eigene innenpolitische Positionen wie den "Kampf gegen die illegale Migration" zu verschärfen.

Hans-Georg Heinrich ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Vizepräsident des Think Tanks Iceur-Vienna.