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Die Ukraine wendet sich nach Westen, in Brüssel drückt man schon beide Augen zu.
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Ein klein wenig Drohgebärde gegenüber Kiew musste dann doch sein: Ein "Umweg, aber keine Lösung" wäre es, wenn die inhaftierte Oppositionsführerin Julia Timoschenko, der offenbar die Ausreise nach Deutschland gewährt werden wird, bei einer Rückkehr in die Ukraine wieder ins Gefängnis müsse, sagte Schwedens Außenminister Carl Bildt am Rande eines Treffens der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg. Noch habe Kiew Brüssels Bedingungen für die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens Ende November auf dem Gipfel der Östlichen Partnerschaft der EU nicht erfüllt. Auch sein deutscher Kollege Guido Westerwelle appellierte an die ukrainische Führung, fehlende Justizreformen noch durchzuführen.
Insgesamt aber dürfte wohl Österreichs Außenminister Michael Spindelegger in Luxemburg die Absichten der EU deutlich präziser auf den Punkt gebracht haben: "Uns ist es wichtig, dass die Ukraine ganz klar ihren Kurs auf Richtung Europa ausrichtet und nicht in Richtung Russland."
Um dieses geopolitische Ziel zu erreichen, drückt man in Brüssel im Zweifelsfall beide Augen zu: Beispielsweise gibt es - bis auf die symbolisch wichtige Geste im Fall Timoschenko - so gut wie kein Anzeichen dafür, dass Kiew, wie von der EU gefordert, seine "selektive Justiz" abstellt. Im Gegenteil: Präsident Wiktor Janukowitsch hat seit seiner Amtsübernahme nach dem Vorbild von Russlands Präsidenten Wladimir Putin seine "Machtvertikale" gefestigt, wozu auch die Kontrolle über den Justizapparat gehört. Das System, das Janukowitsch aufgebaut hat, wäre eigentlich mit den vielbeschworenen Werten der EU nicht kompatibel.
Dennoch hat ausgerechnet der Mann aus dem Donbass, der während der "Orangen Revolution" 2004 noch als russophiler, vom Kreml präferierter Präsidentschaftskandidat galt, sein Land jetzt Richtung EU gewendet. Daran ist Putin mit seiner Politik nicht ganz unbeteiligt: Die unnachgiebige Haltung des Kremls beim Gaspreis für die Ukraine sorgte für ebenso großen Unmut wie Differenzen bei einem Konsortium zur gemeinsamen Verwaltung ukrainischer Gas-Pipelines. Das Fass zum Überlaufen gebracht haben dürfte Moskau mit seinem Mini-Handelskrieg Ende August, als man die Grenzübergänge für ukrainische Waren sperrte. Der Warnschuss wegen des geplanten EU-Abkommens ging für Putin nach hinten los: Die Maßnahme steigerte in Kiew nicht gerade die Lust, sich in die geplante "Eurasische Union" Russlands einzufügen. Die Stimmung in dem sonst chronisch gespaltenen Land ist eindeutig proeuropäisch. Das könnte sich freilich ändern, wenn die ersten Schwierigkeiten beginnen: Das EU-Abkommen wird den ukrainischen Markt für europäische Waren öffnen. Das könnte vielen lokalen Firmen Probleme bereiten.