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Putins radikaler Kahlschlag gegen Opposition und NGOs

Von Ines Scholz

Politik

Nun droht auch renommiertem Meinungsforschungsinstitut das Aus.


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Moskau. Mit einem beispiellosen Feldzug gegen die Opposition und Nicht-Regierungsorganisationen versucht Russlands Präsident Wladimir Putin seit Beginn seiner dritten Amtszeit, Kritiker zum Schweigen zu bringen. Es gibt kaum mehr einen Oppositionsvertreter, der nicht vor Gericht steht oder gegen den die willfährige Justiz nicht Ermittlungen eingeleitet hat - wie der Prozess gegen den bekannten Anti-Korruptions-Anwalt Alexej Nawalny zeigt. Selbst Abgeordnete, die es wagen, Putins politischen Kurs zu kritisieren, werden an den Pranger gestellt. Jüngster Fall ist der Duma-Mandatar Ilia Ponomarjow. Der 37-jährige Linkspolitiker, Mitglied von "Gerechtes Russland", hatte im Vorjahr Massendemonstrationen gegen Putin mitorganisiert und nimmt sich auch sonst kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, Russlands wachsenden Autoritarismus und die grassierende Korruption innerhalb der Machtelite zu verurteilen - gegen ihn ermittelt nun die Staatsanwaltschaft, am Wochenende verlangte sie die Aufhebung seiner Immunität, um Anklage erheben zu können. "Korruptionsverdacht" lautet der Vorwurf - wie so oft, wenn Kritiker zum Schweigen gebracht werden sollen.

Aufgeschreckt von Putins radikalem Kahlschlag gegen Russlands kritische Stimmen meldeten sich EU, Europarat und UNO ungewohnt scharf zu Wort. Vor allem das im Juli des Vorjahres in Kraft getretene NGO-Gesetz, wonach sich alle russischen Nichtregierungs-Organisationen als Auslandsagenten (sprich Spione) deklarieren müssen, die vom Westen finanzielle Hilfe bekommen, weil sie sonst nicht überleben könnten, sorgt für Missmut. Thornjorn Jagland, Generalsekretär des Europarats, monierte vor einem Treffens mit NGO-Vertretern in Moskau am Dienstag, das Agentengesetz erinnere ihn markant an die Methoden der ehemaligen sowjetischen Geheimpolizei. Am Freitag hatte sich die EU besorgt über Russlands Menschenrechtspolitik gezeigt, UNO-Sonderberichterstatterin Maina Kiai hatte die "zerstörerischen, einschüchternden und stigmatisierenden Effekte" der jüngsten Massenrazzien auf die russische Zivilgesellschaft angeprangert.

Der Kreml zeigt sich allerdings unbeeindruckt. Ins Visier der Justiz geriet nun selbst Russlands einziges unabhängiges Meinungsforschungsinstitut. Das renommierte Lewada-Zentrum lieferte bisher die verlässlichsten Umfragedaten, auch zu Putins wachsendem Popularitätsschwund - dies ist offenbar in Zukunft nicht mehr erwünscht. Nun muss sich das Institut als "Agentenorganisation" selbst denunzieren oder zusperren. Dabei betrugen die Fördergelder aus dem Ausland höchstens 1,5 bis 3 Prozent des Jahresbudgets, wie Institutsleiter Lev Gudkow versichert.