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Putins Selbstzweifel

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Eines vorweg: Es gibt zweifellos ausreichend Menschen in und um Russland herum, denen Wladimir Putin ein Dorn im Auge ist. Und zwar im aller-existenziellsten Sinn. Seien dies islamistische Gotteskrieger oder gefolterte Menschenrechtsaktivisten, aus dem Kaukasus oder sonstwo her. Das nun angeblich vom Geheimdienst aufgedeckte Attentatskomplott gegen den wahlkämpfenden russischen Premier entbehrt daher nicht von vornherein jeglicher politischer Plausibilität. Es sind schon harmlosere Politiker ermordet worden.

Was jedoch so stutzig macht und Putins Kritiker sofort an eine gut durchdachte Inszenierung im Dienste der für kommenden Sonntag angesetzten Präsidentschaftswahlen denken ließ, ist die Art und Weise, wie die Anschlagspläne nun den Weg an die Öffentlichkeit fanden. Zu offensichtlich scheint alles der höheren Lobpreisung Putins untergeordnet.

Aber immerhin: Wer glaubt, auf solche Tricks angewiesen zu sein, muss bereits vom Virus des Selbstzweifels befallen sein. Das wäre dann doch noch eine gute Nachricht für all die kritischen Bürger im Land des Autokraten, die in den vergangenen Monaten immer wieder auf die Straßen gegangen sind, um gegen die politischen Zustände zu protestieren.

Der Westen dagegen kann - unabhängig von der nicht ganz unwesentlichen Tatsache, dass es keinen aussichtsreichen Gegenkandidaten gibt - ganz gut mit einem neuerlichen Einzug Putins in den Kreml leben. Stabile Verhältnisse: Das war immer schon das, was Europa und die USA am meisten in diesem transkontinentalen Riesenreich anstrebten. Auch wenn dies Abstriche bei den demokratischen Standards bedeutet, denen der Westen ansonsten so gerne das Wort redet. Tatsache ist: Russland ist zu groß und rohstoffreich, um Prinzipien das Ruder zu überlassen. Das ist nicht einmal zynisch gemeint, es entspricht schlicht den politischen, strategischen und ökonomischen Realitäten.

Die russischen Eliten sind sich ihrer neu gewonnenen Bedeutung durchaus bewusst, auch wenn diese vorwiegend auf den wackligen Beinen der volatilen Rohstoffmärkte steht. Es wäre wünschenswert, wenn auch die Repräsentanten demokratischer Staaten mit einem ähnlich ausgeprägten Selbstbewusstsein aufträten. An der Zusammenarbeit führt ohnehin kein Weg vorbei. Aber das wissen ohnehin alle.