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Putins Totalblamage

Von Michael Schmölzer

Politik

Söldnerführer Prigoschin zeigt, dass ein Sturz des Kreml-Herrn möglich wäre. Doch noch steht die Elite hinter ihm.


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Zwei Tage nach dem Ende der Meuterei der Wagner-Truppe in Russland war eine Sache auffällig: Sowohl von dem impulsiven Söldnerführer Jewgeni Prigoschin als auch vom russischen Präsidenten Wladimir Putin fehlte vorerst jede Spur. Als Einziger zeigte Verteidigungsminister Sergej Schoigu Präsenz und besuchte russische Einheiten, die in der Ukraine kämpfen.

Schoigu und Generalstabchef Waleri Gerassimow sind Hassobjekte Prigoschins und Teil jener Kreml-Elite, die von "Putins Koch" auf einzigartige Weise bloßgestellt und in ihrem Machtanspruch geschwächt wurde. Der widerborstige Mann, ehemals enger Vertrauter des Präsidenten, hat auch klar demonstriert, dass das System Putin auf tönernen Füßen steht und bei Erschütterungen, einem Kartenhaus gleich, einstürzen kann.

So ist es den Wagner-Leuten Samstag in der Früh völlig problemlos gelungen, Rostow am Don unter ihre Kontrolle zu bringen. Dort befindet sich der Sitz des russischen Oberkommandos, das den Krieg in der Ukraine lenkt. Die Streitkräfte und die Nationalgarde dort leisteten keinen Widerstand.

Rascher Vormarsch

Dann zogen die Söldner zügig weiter in Richtung Moskau und es besteht wenig Zweifel, dass sie die russische Hauptstadt auch erreicht hätten. Die Löcher, die die russische Armee hastig in den Asphalt graben ließ und die jetzt wieder eilig zugeschüttet werden, hätten die Vorrückenden nicht gestoppt. Es wäre durchaus möglich, dass Prigoschins Männer die wichtigen Schaltstellen in Moskau rasch stürmen hätten können - wenn sie das gewollt hätten.

Doch hatte der ehemalige Häftling keinen Putsch im Sinn, es handelte sich vielmehr um eine weitere Eskalationsstufe in Prigoschins Konflikt mit der Armeeführung, von der er sich im Stich gelassen fühlt und in die er sich nicht integrieren will. Sein "Marsch auf Moskau" kann als Protestaktion verstanden werden, die aber die Ohnmacht des Kreml offensichtlich gemacht hat. Experten bezeichnen Prigoschin als größenwahnsinnig, manche behaupten, er sei psychisch nicht gesund, zumindest aber in einer Ausnahmesituation.

Putin hat jedenfalls nicht nur die militärische Stärke der Ukraine unterschätzt, er hat auch die Gefährlichkeit Prigoschins für den eigenen Machterhalt nicht erkannt. Jetzt, wo klar ist, wie leicht Putin zu gefährden ist, stellt sich die Frage, wer den russischen Präsidenten als Nächster - diesmal vielleicht erfolgreich - herausfordern könnte.

Der Sicherheitsapparat steht jedenfalls weiter hinter Putin, auch die Armee ist loyal. Eine politische Opposition, die Putin gefährlich werden könnte, gibt es ebenfalls nicht. Vorstellbar ist, dass durch die ungesühnte Meuterei der Wagner-Gruppe ein langsamer Zersetzungsprozess weiter in Gang gesetzt wurde, der dem Zusammenhalt der riesigen Russischen Föderation und schließlich Putin selbst den Garaus macht. Ein Russland, das im Chaos versinkt, wünscht sich allerdings im Westen niemand. Dann wäre völlig ungewiss, in welche Hände das riesige Atomwaffenarsenal gerät. Auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hat am Wochenende im Rahmen des Europaforum Wachau auf diesen Umstand hingewiesen.

Die Frage ist auch, inwiefern Prigoschin und seine Söldner weiter ein Machfaktor bleiben. Während der Anführer nicht lokalisierbar und möglicherweise in Weißrussland ist, zogen sich seine Soldaten in ein Ausbildungslager zurück. Bei der Wagner-Truppe handelt es sich oft um freigelassene Häftlinge, im Vergleich zur regulären russischen Armee erwiesen sich die Söldner aber als kampfstark.

Ob sie sich mit Juli problemlos in die russischen Streitkräfte eingliedern lassen, wie sich der Kreml das vorstellt, bleibt abzuwarten. Möglich ist es. Laut der russischen Nachrichtenagentur RIA ist das Strafverfahren gegen Prigoschin wegen Meuterei doch nicht eingestellt. Zuvor hatte Kremlsprecher Dmitri Peskow versprochen, dass die Wagner-Söldner angesichts der militärischen Verdienste straffrei bleiben würden. Prigoschin kann sich weiterhin nicht sicher fühlen.

Freude in Kiew

In Kiew werden die Ereignisse erfreut zur Kenntnis genommen und es wird auf Russlands Schwäche verwiesen. Nachdem die Ordnung zumindest oberflächlich wiederhergestellt ist, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die ukrainischen Streitkräfte bei ihrer Offensive unmittelbar von den Ereignissen profitieren. Die russische Gegenwehr ist an den Frontabschnitten jedenfalls nicht schwächer geworden, auch wenn die Ukraine von militärischen Erfolgen spricht. Aber: Prigoschins Rebellion habe illustriert, "dass den russischen Streitkräften in vielen rückwärtigen Gebieten Reserven fehlen", heißt es in dem jüngsten Bericht des US-Instituts für Kriegsstudien. Und die offensichtliche Schwäche der Armeeführung könnte auch bewirken, dass die Kampfmoral der Soldaten an der Front weiter abnimmt.

Die Bilanz der Meuterei: Es sollen zwischen 13 und mehr als 20 russische Soldaten ums Leben gekommen sein, darunter Piloten. Die Wagner-Leute könnten sechs Hubschrauber und ein Aufklärungsflugzeug abgeschossen haben. In Moskau sind die Anti-Terrormaßnahmen am Montag wieder aufgehoben worden. In der Region Woronesch wurden 19 Häuser durch ein Feuergefecht beschädigt, in Rostow am Don ruinierten Panzer Fahrbahnen. Die Reparaturarbeiten laufen - doch Putins Image hat weit mehr als eine Delle abbekommen.