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Das Duo Tsipras/Kammenos wird in Moskau mehr als freundlich empfangen.
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Athen. Noch schneller ging es nicht. Kaum waren die Wahllokale in Hellas geschlossen, verkündete Panos Kammenos, bulliger Chef der "Unabhängigen Griechen" (Anel), auf offener Straße vor den Journalisten: "Die Griechen haben von diesem Moment an eine neue Regierung. Alles andere wird Ihnen der neue Premier Alexis Tsipras mitteilen". Kammenos’ Genugtuung war in seinem Gesicht zu lesen.
Symbolträchtig gab Kammenos sein Statement vor der Parteizentrale des "Bündnisses der radikalen Linken" (Syriza) am Athener "Koumoundourou"-Platz ab. Zuvor hatte er den strahlenden Wahlsieger Alexis Tsipras aufgesucht. Im erst kürzlich renovierten Büro des Syriza-Chefs mit dem grandiosen Blick auf die Akropolis machte das Duo Tsipras/Kammenos den denkwürdigen Deal perfekt - im Eiltempo. Das Bündnis der scheinbar so ungleichen Koalitionäre war geschmiedet, die Vereidigung des Kabinetts nur noch Formsache.
Nahezu unbemerkt passierte just an jenem Montagvormittag Ende Jänner ein ganz anderer Besucher den Eingang der Syriza-Parteizentrale. Auch er suchte Tsipras auf. Es war Andrej Maslow, der russische Botschafter in Athen, der Tsipras im Namen von Präsident Wladimir Putin als erster Diplomat offiziell zu dessen Wahlsieg gratulierte. Unmittelbar danach wetterte Tsipras gegen neue Russland-Sanktionen der EU und stellte sich damit demonstrativ hinter Moskau.
Alles nur ein kurzes Störfeuer? Kritiker monierten prompt, Tsipras handle sehr wohl "mit Kalkül". Er wolle "die Einheitsfront des Westens brechen" und "stütze damit Wladimir Putins Strategie", Europa mithilfe Verbündeter zu spalten. Im Gegenzug würde der Moskauer Herrscher dem klammen Hellenen in seinem Kampf gegen den drohenden Staatsbankrott gerne mit Geld helfen - und damit Athens verhasste öffentliche Gläubiger aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) brüskieren. Dem Plan, den der listige Grieche verfolge, wurde gleich auch ein Name verpasst, besser: ein Unwort: "Plan P" - das "P" für Putin.
EU reagiert "not amused"

In der EU geht bereits die Angst um, die Griechen könnten zu "Putins Trojaner" in der EU und womöglich in der Nato werden. Tsipras spiele mit der "russischen Karte", heißt es dort. Für die Griechen, mit den Russen dank Orthodoxie und historischer Wurzeln ohnehin traditionell verbunden, sei dies schließlich nicht das erste Mal. Athens Dogma "Anikumen stin Disi" ("Wir gehören zum Westen"), das mit dem Beitritt des Landes zur EG im Jahre 1981 sowie der Euro-Einführung Anfang 2002 faktisch in Stein gemeißelt wurde, bekomme Brüche, stehe gar auf dem Spiel.
Fakt ist: Ursprünglich wollte Tsipras erst Anfang Mai anlässlich des 70. Jahrestages des Sieges über Nazi-Deutschland nach Moskau fliegen. Nun wird er sich schon am heutigen Mittwoch mit Putin treffen. Sofort nach Bekanntwerden berichtete die Athener Gazette "Ta Nea", die vorgezogene Reise habe mit der akuten Geldknappheit Griechenlands zu tun. Denn die westlichen Geldgeber wollen überfällige Kredittranchen von 7,2 Milliarden Euro erst zahlen, wenn Athen konkrete Reformen beschließt und auch umsetzt.
Das kann noch dauern. Doch die Zeit drängt. Denn schon am Donnerstag, einen Tag nach Tsipras Moskau-Visite, muss das ewige Euro-Sorgenland eine Kredittranche von 467 Millionen Euro an den IWF zurückzahlen. Darüber hinaus muss Athen Mitte April kurzfristige Staatsanleihen im Wert von 2,4 Milliarden Euro refinanzieren.
Doch den Griechen geht allmählich das Geld aus. Der griechische Innenminister Nikos Voutsis, ein enger Tsipras-Vertrauter und Syriza-Spitzenpolitiker, drohte Mitte voriger Woche unverhohlen damit, die IWF-Rate nicht pünktlich zurückzuzahlen, falls kein frisches Geld von den westlichen Geldgebern fließt. Sein Credo: Die Zahlungen für Gehälter, Löhne, Renten und Pensionen haben Vorrang. Nun heißt es wieder, das Geld reiche noch bis Mai.
Hoffen auf milde Gaben
Russland hat bereits Interesse bekundet, Athen unter die Arme zu greifen. Finanzminister Anton Siluanow erklärte im Gespräch mit einem US-Sender, würden die Griechen Moskau um einen Kredit ersuchen, "würden wir das definitiv prüfen". Allerdings sei das bis dato nicht passiert.
Wirtschaftlich macht das auch wenig Sinn, jedenfalls für die Griechen. Russland ist für Athen kein wichtiger Absatzmarkt: Nur 1,5 Prozent der griechischen Exporte wurden 2013 dorthin geliefert. Stattdessen gehen mehr als 40 Prozent der griechischen Waren in andere EU-Staaten, besonders nach Italien, Deutschland, Bulgarien und Zypern.
Allerdings kassiert Russland von den Griechen überdurchschnittlich hohe Preise für seine Erdgaslieferungen, Athen strebt daher Preissenkungen an. Nur: Können sich die Griechen einen solchen Affront gegen die EU-Partner leisten?
Moskau könnte ein Kreml-Investment am Peloponnes hingegen sehr wohl politisch nutzen. EU-Sanktionen setzen Einstimmigkeit voraus. Die Tsipras-Regierung könnte somit Brüsseler Beschlüsse gegen Russland schlicht blockieren - allerdings um den Preis einer totalen Isolation innerhalb der EU.
Dugin-Freund Kammenos
Der Kuschelkurs mit Russland ist nicht erst mit der Machtübernahme entstanden. Beide Athener Koalitionäre pflegten schon davor enge Kontakte mit Moskau. Pikant: Anel-Chef Panos Kammenos soll dem Vernehmen nach auch mit dem Umkreis von Alexander Dugin in Verbindung stehen. Der rechtsnationale Russen-Hardliner plädiert für ein von Moskau beherrschtes Europa und träumt von der eurasischen Weltherrschaft. Kritiker der russischen Annexion der Krim und des Einmarsches in der Ostukraine bezeichnet er als "psychisch anormal".
Wie Premier Tsipras stammen überdies viele führende Syriza-Politiker aus der stalinistisch-orthodoxen Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE). Nicht wenige Syriza-Politiker wurden in der Sowjetunion politisch sozialisiert. Auf Dugins Website findet sich ein Foto, auf dem er mit Syriza-Politiker Nikos Kotsias - dem heutigen Außenminister - posiert. Auch Kotsias war KKE-Mitglied.
Leonid Reschetnikow,Ex-KGB-Spion, Befürworter einer Föderalisierung der Ukraine und Chef des kremlnahen "Russischen Instituts für strategische Forschungen", prahlte jüngst damit, Tsipras habe ihn "vor nicht allzu langer Zeit" aufgesucht. Als Oppositionschef ätzte Tsipras jedenfalls gegen die Ukraine-Politik des Westens und äußerte offen Verständnis für Moskaus höchst umstrittene Position in der Krim-Frage.
Ferner greift der Syriza-Politiker Kostas Isychos gerne den Westen in scharfer Form an: Die Beziehungen zu Russland gingen "viel tiefer als die heutige Tagesordnung", sagt er. Isychos, bei Syriza zuständig für internationale Beziehungen, wurde von Tsipras zum Vize-Verteidigungsminister ernannt.
Auch China wird umgarnt
Tsipras und Co. strecken ihre Fühler aber auch ins ferne China aus. Vize-Premier Jannis Dragasakis sowie Kotsias weilten kürzlich im Reich der Mitte, um einen einen bereits geplanten Besuch von Tsipras vorzubereiten. Nach seiner Moskau-Visite will der Premier nämlich bald nach Peking.
Nach Informationen der "Wiener Zeitung" will die hellenische Vorhut in diesen Tagen den Weg für chinesische Firmen ebnen, die im großen Stil in die griechische Infrastruktur investieren sollen. Üblicherweise fordert genau solche Geschäfte China, derzeit mit Geldreserven in Höhe von fulminanten 3,89 Billionen US-Dollar ausgestattet, im Tausch für Kredite an notleidende Länder.
Auf schmerzliche Spar- und Reformauflagen für den Kreditnehmer, wie sie andere öffentliche Gläubiger wie die EU, EZB und IWF bisher in der Causa Hellas verlangen, verzichtet Peking hingegen in der Regel. Für die Griechen wäre dies ein Segen.
Erst kürzlich offenbarte der Chef der größten Privatfirma in China, der Bauriese China Pacific Construction Group, der "Financial Times", er "strebe die Expansion nach Griechenland an". Die dortige Wirtschaft habe den Boden erreicht. "Das ist der beste Zeitpunkt, um einzusteigen. Es ist mir egal, ob das Land in der Eurozone bleibt oder aussteigt."
In Hellas Fuß gefasst hat bereits Cosco, ein globaler Gigant in der Container-Abfertigung. Dank einer 300 Millionen-Euro-Investition fungiert die Hafenstadt Piräus für die Chinesen als Tor nach Europa. Kammenos, der Russen-Freund, der sich zugleich als vehementer Verfechter einer Ausweitung der hiesigen Cosco-Aktivitäten gibt, schwärmt mittlerweile von der Wiedergeburt der Seidenstraße. Seine Vision: Russland, China und Griechenland kreieren die Seidenstraße des 21.Jahrhunderts.
Immer klarer zeichnet sich das typische Muster von Tsipras ab. Der smarte Hellene gewinnt Zeit, schafft sich möglichst viele Optionen, hält sie sich bis zuletzt offen, bevor er wegweisende Entscheidungen zu treffen hat.
Im Tauziehen mit den EU-Partnern will sich Tsipras vor der neuerlich drohenden Staatspleite einen größeren Handlungsspielraum verschaffen. So sucht er sich parallel in Moskau und Peking neue, mächtige Bündnispartner, zugleich potenzielle Geldgeber. Geht Tsipras’ Rechnung auf? Riskiert er den Bruch mit den EU-Partnern? Die EU sieht seine Avancen jedenfalls als Provokation. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warnte Tsipras ausdrücklich vor Spaltungsversuchen. Es sei "nicht akzeptabel", wenn Tsipras nun damit spekuliere, dass als Gegenleistung für russische Hilfe "die einheitliche Haltung Europas in der Russland-Politik aufs Spiel gesetzt wird". Wolfgang Schäuble kritisierte die Nähe des offiziellen Griechenlands zu Moskau noch unverblümter. "Das gefällt uns nicht", meinte der deutsche Finanzminister.