Gastkommentar: Warum die politische Situation im Balkanstaat eskaliert ist.
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Der neue mazedonische Parlamentspräsident, der albanisch-stämmige Abgeordnete Talat Xhaferi, hat am Mittwoch sein Amt angetreten und als erste Amtshandlung den EU-Botschafter zum Kotau empfangen. Doch es gibt zwei Schönheitsfehler: Erstens war Xhaferi hochrangiger Offizier in der mazedonischen Armee, ehe er Anfang 2001 desertierte und unter dem Tarnnamen "Kommandant Forina" führender UÇK-Terrorist wurde - ihm wird die Verantwortung für ein aus dem Hinterhalt ausgeführtes Massaker der UÇK an acht Polizisten und Armeeangehörigen zugeschrieben. Schon seine Bestellung zum Kurzzeit-Verteidigungsminister im Jahr 2013 löste gewalttätige Proteste aus.
Zweitens war die Art und Weise, wie Xhaferi neuer Parlamentspräsident wurde, klar rechtswidrig: Der Wahlvorgang am 27. April durch Abgeordnete der Sozialisten und albanischer Parteien erfolgte nämlich nach Schluss der regulären Parlamentssitzung außerhalb des Plenarsaales und auch nur mit 59 der erforderlichen 61 Stimmen. Von den USA und der EU wurde Xhaferi dennoch als neuer Parlamentspräsident akklamiert, ein (albanischstämmiger) Mitarbeiter des Präsidiumssekretariates stellte - ebenfalls rechtswidrig - die für das Amtsblatt erforderliche Urkunde über die "gesetzesmäßige Wahl" mit Siegel und Unterschrift aus. Soviel zu den "rechtlichen Werten", die USA und EU zu vertreten vorgeben - und ein Vorgeschmack auf die weitere Rechtsstaatlichkeit des Landes unter verstärktem albanischen Einfluss.
Die Parlamentswahlen im Dezember 2016 haben die politische Krise im Land nicht gelöst, aber ohne Einmischung der USA und der EU hätten die konservative VMRO-DPMNE als stärkste Parlamentspartei mit ihrem langjährigen albanischen Partner DUI längst ihre bisherige Regierungskoalition fortgesetzt. Washington und Brüssel arbeiten jedoch seit Jahren am Sturz der Regierung. da diese sich nicht an ihre Zurufe hält (zum Beispiel, was die Nichtteilnahme am Russland-Embargo oder das russische Pipeline-Projekt "Turkish Stream" betrifft).
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist erzürnt, weil sie Lügen gestraft wurde: Stets hat sie behauptet, illegale Einwanderer (vulgo "Flüchtlinge") könne man nicht aufhalten - aber das kleine Mazedonien hat gezeigt, dass es mit Leichtigkeit geht, wenn man nur will. Offiziell wird unter anderem die angebliche Korruption als Grund für den von außen betriebenen "regime change" angeführt. Diese in einem Balkanland völlig auszuschließen, wäre realitätsfremd. Allerdings blieb unter der konservativen Regierung wenigstens - im Gegensatz zu früher - auch etwas für das Volk über. Die wirtschaftlichen Erfolge der bisherigen Regierung zeigt ein Blick auf die Wirtschaftsdaten und auf den gestiegenen Lebensstandard.
Trotz massiver westlicher Wahlhilfe nur als Zweite aus den Parlamentswahlen hervorgegangen, wollen die Sozialisten nach zehn Jahren Abstinenz mit aller Gewalt zum Futtertrog der Macht zurück. Auch um den Preis der Umsetzung der sogenannten Tirana-Plattform, auf die sich alle ethnisch-albanischen Parteien Mazedoniens als Voraussetzung für eine Regierungsbeteiligung geeinigt haben.
Widerstand von Staatspräsident und Mehrheitsbevölkerung
Dieser Forderungskatalog der albanischen Volksgruppe wurde im Dezember 2016 bei einem vom albanischen Premierminister Edi Rama einberufenen Treffen der albanisch-stämmigen Parteiführer in Tirana verabschiedet. Er beinhaltet eine Vielzahl von Maßnahmen mit dem Ziel der Aufwertung des Status der mazedonischen Albaner als Volksgruppe hin zur staatstragenden Nation und einer Defacto-Föderalisierung des Landes. Damit wären die albanischen Aspirationen aber nicht befriedigt. Ihr Endziel ist und bleibt seit Jahrzehnten gleich: eine Sezession in Richtung Groß-Albanien.
Mazedoniens Staatspräsident Gjorge Ivanov sieht die Umsetzung der Tirana-Plattform als verfassungswidrig an und hat sich geweigert, den Vorsitzenden der Sozialisten, Zoran Zaev, mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Unterstützt wurde er durch bis zu 200.000 und mehr Demonstranten, die - überparteilich organisiert, aus allen Gesellschaftsschichten und auch kleineren ethnischen Minderheiten stammend - seit Anfang März täglich für das Fortbestehen eines ungeteilten Mazedoniens friedlich demonstrierten.
Lediglich am 27. April stürmte - vorgeblich als Reaktion auf die "Wahl" des Parlamentspräsidenten - eine Gruppe von Schlägern gefolgt von einigen Demonstranten das Parlament. Unklar ist, wer die Hintermänner und Anstifter des Vorfalles waren. Die westlichen Medien haben sie sofort als Anhänger der bisherigen Regierungspartei VMRO-DPMNE identifiziert. Das scheint eher unwahrscheinlich, denn die Aktion hat dieser Partei nur geschadet.
Cui bono? Die angestrebte neue Regierungskoalition alleine ist der Nutznießer. Allerdings kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Ereignisse - von der "Parlamentspräsidentenwahl" bis zum Parlamentssturm - ein von USA und EU eingefädeltes, abgekartetes Schauspiel aller Parteien war, um aus dem Patt herauszukommen, ohne das Gesicht zu verlieren. Für die Wendekommunisten ist der Weg zum Futtertrog frei, die Konservativen treten um des weiteren Friedens willen unter ausländischem Druck den Gang in die Opposition an, und die USA und die EU haben ihren "regime change".
Bruchlinien zwischenChristen und Muslimen
Mazedonien ist ein geteiltes Land - im Sinne der Huntington’schen These ("Kampf der Kulturen"). Ein klassisches "Bruchlinienland" zwischen zwei Kulturkreisen: dem christlich-mazedonischen und dem islamisch-albanischen. Die albanische Bevölkerung genießt Minderheitenrechte weit über dem internationalen Standard einschließlich Regierungsbeteiligung, lebt aber dennoch in freiwilliger Apartheid neben der Mehrheitsbevölkerung. Die Bedeutung des religiösen Faktors hiefür lässt sich daran ermessen, dass die wenigen Albaner, die sich in die Mehrheitsgesellschaft integrieren, praktisch ausschließlich aus dem katholischen respektive atheistischen (ex-kommunistischen) Umfeld kommen.
Der Bevölkerungsanteil der albanische Minderheit beträgt - entgegen der Selbstdarstellung - nicht ein Viertel oder gar ein Drittel, sondern kaum mehr als 15 bis 16 Prozent, wie sich durch Extrapolierung der Unterlagen der Sozialversicherung ergibt. Die offizielle Zahl von rund 25 Prozent beruht auf den Ergebnissen einer wohl getürkten Volkszählung aus dem Jahr 2002. Der Umstand, dass die Ergebnisse des Zensus jahrelang nicht veröffentlicht wurden, lässt zusätzlich auf frisierte Zahlen schließen. Und seit 2012 verhindern die Albaner - unterstützt von USA und EU - die Durchführung einer periodischen Volkszählung. Warum wohl?