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Vom 5. bis zum 7. November fand ein Treffen des Pentagons, des US-Außenministeriums und der Nationalen Sicherheitsagentur statt. Ähnliche Treffen waren auch dem Allende- Putsch 1973 und Staatsstreichen in Argentinien, Brasilien und Guatemala vorausgegangen. Das Thema des Novembertreffens war die US-Politik gegenüber Venezuela.
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Kurz vor Chávez' Rückkehr, berichtete die "Washington Post", dass nach Angaben "von aktiven und in Ruhestand befindlichen Militärs der neuen Regierung, die Entscheidung, Chávez von der Macht zu drängen, bereits sechs Monate zuvor" gefallen war. Das würde die Putsch-Entscheidung etwa auf den Termin des Novembertreffens bringen.
Aber die Ereignisse wurden bereits im Oktober ins Rollen gebracht, als Chávez den Angriff auf Afghanistan als "Bekämpfung des Terrors mit Terror" bezeichnete. Washington zog sogleich seine Botschafter ab. Die Bush-Regierung verlangte, Venezuela solle den Terrorismus "eindeutig" verurteilen. Aber in Wirklichkeit wollten die USA, dass Venezuela seine Beziehungen zum Irak, Iran, den kolumbianischen Rebellen und Kuba abbricht.
Stolperstein Ölvertrag
Aber es gab noch weitere Faktoren: Chávez hatte versucht, einen sechzig Jahre alten Vertrag neu zu verhandeln, der den Großteil der Zahlungen regelt, die Venezuela von ausländischen Ölfirmen bekommt. Derzeit liegt dieser Gewinnanteil bei einem Prozent. Venezuela gilt als eine der größten Geldquellen für Firmen wie Philips Petroleum und ExxonMobil.
Die Bevölkerung hat keine Anteil am Öl-Reichtum: 80 Prozent der Venezolaner sind arm und 40 Prozent unterernährt. Genau diese Bevölkerungsschicht unterstützt Chávez. "Dutzende" von ihnen starben bei Demonstrationen für seine Rückkehr. Derzeit sind Venezuelas bestätigte Ölreserven mit 76 Milliarden Barrels die sechstgrößten der Welt. Aber kürzlich wurde mit der Nutzbarmachung einer Region begonnen, die Orinoco Gürtel heißt. Dort sollen sich angeblich 270 Milliarden Barrels befinden, also etwa so viel wie die gesamten Vorräte Saudi Arabiens.
Chávez als Präsident bot eine unsichere Verbindung zu Venezuelas Resourcen. Er wollte dem Druck von außen widerstehen - vor allem jenem der USA. Und als im April Irak und Libyen zu einem Öl-Embargo gegen die USA aufriefen, befand sich Venezuela - das schon Kritik einstecken musste, weil es das Embargo 1973 gebrochen hatte - in einer entscheidenden Rolle.
Entscheidendes Treffen
Am 16. April berichtete die "New York Times", Vertreter der US-Regierung hätten sich mehrmals mit denjenigen getroffen, die dann Chávez für kurze Zeit stürzten. Dabei hätten die USA zugestimmt, Chávez "seines Amtes zu entheben". Aus Regierungsquellen waren widersprüchliche Berichte zu hören, ob der Putsch nun ermutigt wurde oder nicht. Die bekannten Fakten sind weniger zweideutig.
Der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zufolge war Otto Reich aus der Regierung von Präsident Bush aktiv an der Detailplanung des Putsches beteiligt. Elliot Abrams, vom Nationalen Sicherheitsrat, sei eine weitere zentrale Figur gewesen. Beide haben wichtige Rollen in den sogenannten "schmutzigen Kriegen" der Reagen-Ära gespielt. Reich und Abrams hatten zuvor daran gearbeitet, Regierungen zu stürzen, die den Interessen der USA in die Quere kommen hätten können.
Der Zeitung "The Guardian" zufolge, hatte OPEC-Generalsekretär Ali Rodriguez, von dem Putschplan erfahren und Chávez gewarnt. Zur gleichen Zeit hatten die Putschisten aus Venezuela versprochen, die US-Ölinteressen zu unterstützen, indem sie Chávez' Pläne, die Gewinnbeteiligungen neu zu verhandeln, beseitigen und jegliche Produktionsbeschränkungen der OPEC ignorieren. Sie wurden mit 870.000 Dollar an US-Hilfe belohnt. Das Geld kam von der Nationalen Stiftung für Demokratie (NED).
"Schmutziger Krieg"
Ein Bericht der "New York Times" aus den 1980ern zeigte auf, dass die NED der "öffentliche Arm" von Oberst Oliver Norths "Project Democracy" ist. Dieses beinhaltete Aktivitäten im "schmutzigen Krieg", die auch zur Iran-Contra-Affäre führten. Während die NED in vielen Fällen wirklich die Demokratie vorantrieb, sieht sich die von der US-Regierung finanzierte "Privatstiftung" schon lange mit Vorwürfen konfrontiert, sie fördere Staatsstreiche in Ländern, deren Oberhäupter nicht sensibel genug gegenüber US-Interessen sind.
Mit der Bezeichnung des Putsches als "Regierungswechsel" und als "Botschaft der Menschen in Venezuela", hat sich Washington verraten. Im Gegensatz dazu, verurteilten lateinamerikanische Regierungen die Machtübernahme durch das Militär.
Als Populist hat Chávez die heimische Inflation von 40 auf zwölf Prozent gesenkt, ein vierprozentiges Wirtschaftswachstum herbeigeführt und die Zahl der Schuleinschreibungen wesentlich erhöht. Kurzzeitpräsident Pedro Carmona, Führer der kurzlebigen Militärdiktatur und früher führend im Ölgeschäft, war von einer ganz anderen Fraktion. Chávez beschrieb Carmona zuvor als den Bevollmächtigten der "Oligarchie".
Am 10. April hatte Venezuelas Innenminister Ramon Rodriguez Chacin vor einem Sturz von Chávez gewarnt und wissen lassen, dass Oppositionsgruppen einen Aufruhr planen.
Ein Bericht in der "Washington Post" bekräftigt und unterstreicht solche Aussagen: Der frühere Verteidigungsminister Venezuelas habe zugegeben, dass es eine "Rechtfertigung für das Eingreifen des Militärs" geben musste. Es wurde auch berichtet, dass abtrünnige Militärs zugegeben hätten, die nationalen Streikführer unterstützt zu haben, um Chávez mit Hilfe eines Streiks zu stürzen. Der Konflikt eskalierte, als während einer großen Demonstration in der Nähe der Präsidentenvilla Schüsse zu hören waren. Unterstützer von Chavez klagten an, dass die Opposition die Schießerei angefangen hätte, um eine Berechtigung für einen Militäreinsatz zu konstruieren. Die Opposition und Repräsentanten der Bush-Regierung beschuldigten Chávez, er habe Scharfschützen den Befehl gegeben, auf unbewaffnete Demonstranten zu schießen. Das war dann der Vorwand, die Forderung des Militärs nach Chávez' Rücktritt gut zu heißen.
Wer hat geschossen?
Roger Rondon, Abgeordneter im Parlament von Venezuela, behauptet, zwei der tatsächlichen Schützen seien von der Polizei gefasst worden. Einer davon sei ein Amerikaner gewesen, der andere aus El Salvador. Beide mutmaßlichen Täter verschwanden während des Putsches.
Als Fußnote zur Lupenperspektive des Putsches deckte Chavez kürzlich in der "BBC Newsnight" auf: "Ich habe schriftliche Beweise aus jener Zeit, wonach zwei Offiziere des US-Militärs das Hauptquartier der Putschführer betreten und wieder verlassen haben."
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilte mit Nachdruck die "Verfassungsunterbrechung" in Venezuela. Wenn Carmona geblieben wäre, hätte die OAS aufgedeckt, dass Chávez mit Gewalt entfernt worden war und hätte überlegt, ein Handelsembargo gegen Venezuela zu verhängen. Ein solches Embargo hätte den Ölexport aus Venezuela in die USA verboten. Allem Anschein nach glaubte Washington nicht an eine solch drastische Antwort der OAS.
"Neuer Chávez"
Seit seiner Rückkehr hat ein "neuer Chávez" angekündigt, dass er seine Pläne, Petroleos de Venezuela (PDVSA) umzustrukturieren, aufgegeben hat und gleichzeitig beteuerte er sein Wohlwollen gegenüber der USA.
Ein Sprecher der Bush-Regierung fasste die Probleme zwischen den USA und Chávez zusammen indem er sagte: "Rechtmäßigkeit ist nicht nur etwas, das von der Mehrheit der Wähler erteilt wird."
Übersetzung: Barbara Ottawa