Machtkampf in der Ukraine ist wieder voll entbrannt. | Präsident Wiktor Juschtschenko in der Defensive. | Kiew/Wien. In der Ukraine ist der Machtkampf zwischen Regierungschefin Julia Timoschenko und Präsident Wiktor Juschtschenko erneut voll entbrannt. Die Regierungskoalition zwischen dem Block Julia Timoschenko und dem Präsidentenblock Unsere Ukraine-Selbstverteidigung steht vor dem Aus. Ausschlaggebend für den Bruch war ein Bündnis Timoschenkos mit der prorussischen Partei der Regionen. Gemeinsam mit den Kreml-treuen Abgeordneten hat sie in der Nacht auf gestern Mittwoch eine Reihe von Gesetzen durchgepeitscht, die die Position des Präsidenten erheblich schwächen.
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So soll in Zukunft die Absetzung des Präsidenten durch das Parlament erleichtert werden. Entzogen werden sollen dem Präsidenten überdies seine bisher sehr umfangreichen Kompetenzen bei der Regierungsbildung. Außerdem soll in Zukunft der Regierungschef Minister selbstverantwortlich absetzen können. Bislang war das nur in Abstimmung mit dem Präsidenten möglich.
Damit all diese Beschlüsse in Kraft treten, muss sie allerdings ausgerechnet Juschtschenko selbst als Präsident absegnen - was er mit Gewissheit nicht tun wird. Der einzige Weg, um die Gesetze dennoch durchzusetzen, wäre daher ein langwieriges und unsicheres Verfahren gegen das Präsidenten-Veto im Parlament.
Julia Timoschenko verteidigt die neuen Regelungen mit dem Hinweis, dass sie eine Stärkung des Parlaments und somit eine weitere Demokratisierung bedeuten. Präsident Juschtschenko schäumt indessen vor Wut: "Das ist ein zynischer Kampf um die Macht, der gegen die Interessen der Ukraine gerichtet ist. Es ist zu einem politischen und verfassungsrechtlichen Putsch gekommen", erklärte er.
Vom Kreml gekauft?
Doch nicht nur von Putsch, sogar von Hochverrat durch Timoschenko ist inzwischen in den politischen Salons von Kiew die Rede. So soll Timoschenko in den letzten Wochen vom Kreml eine Milliarde Dollar für den Präsidentschaftswahlkampf 2010 zugesichert bekommen haben. Die Gegenleistungen, die der Kreml dafür erhalten hat: Keine eindeutige Verurteilung des russischen Vorgehens in Georgien durch die ukrainische Regierung.
Präsident Juschtschenko selbst scheint von der neuen Situation ziemlich überfordert zu sein. Die Signale, die er am Mittwoch Nachmittag aussandte, waren jedenfalls alles andere als eindeutig: Zuerst drohte er mit Parlamentsauflösung und Neuwahlen, dann erklärte er in einem Fernseh-Interview, dass die Zusammenarbeit mit Timoschenko leicht wieder aufgenommen werden kann, wenn die Regierungschefin bloß wieder im Interesse der Ukraine zu handeln beginnt.
Dass Juschtschenko derart defensiv reagiert, liegt daran, dass er bei etwaigen Neuwahlen nur verlieren kann: Rund 70 Prozent der Ukrainer lehnen einen vorzeitigen Urnengang ab. Andrej Schkil, Parlamentsabgeordneter und enger Mitarbeiter von Julia Timoschenko geht daher davon aus, dass das letzte Wort im ukrainischen Machtpoker noch nicht gesprochen ist: "Ich denke, die beiden sollten sich an den Verhandlungstisch setzen."