Der historisch niedrige Ölpreis, die katastrophalen Zustimmungsraten für Präsident Nicolas Maduro und die blamable Versorgungslage im Land treiben in Venezuela die Erben von Revolutionsführer Hugo Chavez in die Enge.
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Caracas. Venezuelas Sozialisten leiden: Der historisch niedrige Ölpreis, die katastrophalen Zustimmungsraten für Präsident Nicolas Maduro und die blamable Versorgungslage im Land treiben die Erben von Revolutionsführer Hugo Chavez in die Enge. So sehr, dass gefährliche Putschgerüchte in Caracas die Runde machen. Die rechtskonservative Tageszeitung "El Nuevo Herald" aus Miami will aus Kreisen der Exil-Venezolaner und des privaten US-amerikanischen Think Tank Stratfor erfahren haben, dass in Kreisen der führenden Sozialisten, Generäle und linken Paramilitärs Szenarien diskutiert werden, die sich um eine Ablösung Maduros nach der Rückkehr von seiner aktuellen Auslandsreise drehen.
In den vergangenen Tagen versuchte Maduro unter anderem in Saudi-Arabien, Katar, Iran oder Algerien Unterstützung für eine außerordentliche Opec-Sitzung zu finden und um gemeinsame Maßnahmen gegen den drastischen Ölpreisverfall abzustimmen. Doch Maduro scheiterte mit seinem Vorhaben. Bei seiner Rückkehr nach Caracas erwarten ihn nun große innenpolitische Probleme und weiteres Misstrauen aus den eigenen Reihen.
Widerstand in eigenen Reihen
Der Widerstand in den eigenen Reihen wächst, denn die Umfragewerte sind im Keller, das Land ist in einem katastrophalen Zustand. Vor allem die von Chavez einst zum Zwecke der Verteidigung gegen eine vom Revolutionsführer gefürchtete US-Invasion mit Waffen aufgerüsteten paramilitärischen Banden, die sogenannten Colectivos, fürchten um ihre Macht, sollte das System Maduro und mit ihm der Sozialismus des 21. Jahrhunderts in Caracas zusammenbrechen.
In jüngster Zeit aber häuften sich auch aus den Reihen der Colectivos öffentliche Rücktrittsforderungen in Richtung Maduros. Ebenso wächst der Unmut bei den Militärs, die nach 15 Jahren sozialistischer Herrschaft nahezu komplett und gut bezahlt auf Regierungslinie mitschwimmen. Ein Rücktritt Maduros würde Neuwahlen bedeuten. Diese fürchten die mächtigen sozialistischen Eliten aber wegen der schlechten Stimmung im Land.
Die Lage in Venezuela ist dramatisch. Der Absturz des Ölpreises auf unter 50 US Dollar ist für den Staatshaushalt Venezuelas eigentlich nicht zu verkraften. Rund 80 Prozent der venezolanischen Staatseinnahmen hängen von den Öleinnahmen ab. Mit einem Preis von rund 90 bis 100 US Dollar pro Barrel wäre der Staatshaushalt einigermaßen gesichert, doch nun scheint der Ölpreis dauerhaft niedrig zu bleiben. Die Gefahr einer Staatspleite für den wichtigen Ölproduzenten sei "deutlich gestiegen", erklärte die Ratingagentur Moody’s diese Woche. Sie setzte die Kreditwürdigkeit des Landes um zwei Stufen hinunter.
Maduro macht für den Ölpreisverfall einen "Wirtschaftskrieg" konservativer Kräfte, allen voran der USA, verantwortlich. Dabei ist das Problem hausgemacht. Jahrelang verzichtete die Regierung in Caracas darauf, die sprudelnden Ölmilliarden in den Aufbau neue Wirtschaftszweige zu investieren, die das Land unabhängig vom Ölpreis hätten machen können. Stattdessen leisteten sich die Anhänger Hugo Chavez’, die Chavistas, einen aufgeblähten Staatsapparat mit gut dotierten Posten für linientreue Beamte, einen teuren Propaganda-Sender für ganz Lateinamerika und eine teure Schar an Armeefunktionären.
Exodus gebildeter Venezolaner
Gleichzeitig verrottet die Industrie, immer mehr mittelständische Unternehmen geben angesichts der "sozialistisch-marxistischen Planwirtschaft" auf, wie die venezolanischen Bischöfe diese Woche monierten. Die Ladenregale sind gähnend leer, die Inflation ist erschreckend, und der Exodus junger, ausgebildeter Venezolaner, die keine Zukunft mehr in ihrem Heimatland sehen, nimmt erschreckende Ausmaße an.
Das wäre eigentlich die Stunde der Opposition, doch deren wichtigster Vertreter, Leopoldo Lopez, sitzt seit fast einem Jahr im Gefängnis, obwohl Menschenrechtler, die Kirche und Friedensnobelpreisträger seine sofortige Freilassung fordern. Maduro startete Anfang des Monats einen Versuchsballon und schlug vor, Lopez im Austausch gegen den puertorikanischen Separatisten Oscar Lopez Rivera freizulassen, der unter anderem wegen Verschwörung seit 1981 in US-Haft sitzt. Wenige Tage später folgte der Vorschlag, Lopez freizulassen, wenn er Venezuela verlasse.
"Damit hat er meinen Mann endgültig zum politischen Gefangenen gemacht", sagte Lopez’ Ehefrau Lilian Tintori. Lopez, dem die Regierung vorwirft, für die Gewaltausbrüche während der Massenproteste im Vorjahr verantwortlich zu sein, kündigte an, unter keinen Umständen sein Heimatland verlassen zu wollen. Seine Unbeugsamkeit und seine Bereitschaft, für seine Überzeugung im Gefängnis auszuharren, lassen Lopez jeden Tag mehr und mehr zur Symbolfigur der Opposition werden.
Venezuelas mächtige Familien rund um Parlamentspräsidenten den Diosdado Capello und den Vizepräsidenten Jorge Arreaza drohen indes der Opposition unmissverständlich. Im Militärgefängnis Ramo Verde seien noch einige Zellen frei, wetterte Arreaza am Wochenende. Der Politikwissenschafter, der durch seine Beziehung zur Chavez-Tochter Rosa Virginia in den Kreis der Mächtigen aufstieg, gilt als einer der potenziellen Nachfolger Maduros. So bliebe die Macht in der Familie.
Im Februar jähren sich die Massenproteste aus dem Vorjahr ebenso zum ersten Mal wie die Inhaftierung von Lopez. Nichts von dem, was hunderttausende Venezolaner auf den Straßen von Caracas, Maracaibo oder San Cristobal forderten, ist seitdem umgesetzt. Der Dialog zwischen Regierung und Opposition, die sich nicht immer einig zeigte, ist eingeschlafen. Nun wächst in Venezuela angesichts der dramatischen Versorgungsengpässe erneut die Wut auf die Maduro-Regierung.