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Putz- oder Wundermittel?

Von Stefanie Holzer

Reflexionen
Cartoon: Wolfgang Ammer
© © Ammer

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"Ja, hast du denn die Effektiven nicht?" fragte der Holzhändler mitleidig meine verdutzte Schulfreundin, als sie ihn gebeten hatte, ihr das Holz in den Schuppen zu tragen, weil sie an einem heftigen grippalen Infekt laborierte. Die "Effektiven", wurde sie aufgeklärt, sind Bakterien, die das Immunsystem stärken. Seit der Holzhändler täglich in der Früh ein Stamperl "Effektive Mikroorganismen" trinke, sei er pumperlgesund.

Mir waren die "Effektiven" ein halbes Jahr früher unter dem mysteriösen Kürzel "EM" vorgestellt worden. Der Freund meines siebenjährigen Sohnes hatte trotz eifrigen Zähneputzens die Schneidezähne schwarz vor Karies. In ihrer Verzweiflung war die Mutter, eine Allgemeinmedizinerin, auf eine besondere Zahncreme mit Mikroorganismen aufmerksam geworden. Sie erzählte so angeregt davon, dass ich nicht nur Zahnpasta, sondern auch noch eine Flasche mit Putzmittel auf derselben Basis erstand.

Neue Bakteriensicht

Effektive Mikroorganismen sind im Wesentlichen Milchsäure-, Hefe- und Photosynthesebakterien. Als ich die erste Flasche öffnete, war mir nicht ganz wohl. Ängstlich, wie der moderne Mensch nun einmal ist, befürchtete ich, der Inhalt dieser als Flasche getarnten Büchse der Pandora könnte sich, einmal freigelassen, selbständig machen und dann unkontrollierbare Reaktionen auslösen. Denn die von uns allen verinnerlichte Putzideologie geht davon aus, dass beim Putzen möglichst viele Bakterien zu beseitigen sind. Tatsächlich lassen sie sich, wenn überhaupt, nur kurzfristig durch Putzen entfernen. Meist sind sie bald wieder da. Von diesem Wissen dahin zu gelangen, Bakterien zu kaufen und sie in der Wohnung zu verteilen, ist ein großer Schritt.

Ich nahm eine Verschlusskappe der dunkelbraunen Flüssigkeit, verdünnte sie, der Gebrauchsanweisung folgend, mit einem Dreiviertelliter Wasser und sprühte sie dort auf, wo ich putzen wollte. Das Ganze schäumte nicht, es roch nicht nach parfümierter Henkel&Procter&Gamble-Sauberkeit, sondern im Grundton säuerlich mit einer geringfügigen Lavendelüberlagerung. Am Ende des Experiments waren Küche, Bad, Boden und Fenster einwandfrei sauber.

Ich mag es, wenn Sauberkeit keinen Geruch hat. Deshalb besorgte ich mir auch ein Fläschchen zum Geschirrreinigen: In der Abwasch arbeiteten "die Effektiven" wunderbar. Bei Lasagne-Krusten und ähnlichen Härtetests - so merkten wir bald - war Einweichen das Geheimnis des Erfolgs. Dass es gar keinen Schaum gab, war anfangs störend. Schaum schien mir zum Fettlösen unabdingbar. Schaum, zeigten mir die EM, ist aber bloß Theaterdonner. Die EM schaffen Fett auch ohne derartiges Getöse. Auch in der Spülmaschine siegten sie über Fett und angetrocknete Speisereste. Allein die Ränder von Tee und Kaffee in den Tassen leisteten erfolgreich Widerstand.

Ein paar Monate später war ich wieder einmal im damals einzigen Geschäft in Innsbruck, das EM-Produkte führte, und beobachtete zwei Frauen beim Einkauf. Die etwa 15-jährige Tochter der einen maulte, sie wolle nun auf der Stelle wissen, wozu dieses merkwürdige Zeug gut sei. Was es bewirke? Und ob sich die Mama, inquirierte der jugendlich kritische Geist, schon einmal gefragt habe, ob das alles nicht Humbug sei? Ob sie sich nicht Geld aus der Tasche ziehen lasse? Allen in Hörweite war klar, dass dieses Geld besser für die Tochter ausgegeben werden sollte.

Die Damen bemerkten mich und schwiegen auf der Stelle. Ich fasste mir ein Herz und unterstützte die Forderung der Tochter und bat um Rat und Aufklärung. Da atmete eine der Damen tief ein und hob mit ihrem Vortrag an. "Die Effektiven" seien vielfältig anwendbar, zum Putzen, aber auch zur Verbesserung des Raumklimas; seit sie sprühe, streite ihr Arbeitskollege nicht mehr mit ihr.

Die Mikroorganismen bekämpften außerdem Schimmel, und sie selbst trinke eine Verschlusskappe voll in einem großen Wasserkrug verdünnt über den Tag hinweg. Das unterstütze die Verdauung und stärke die Immunabwehr. Außerdem lege sie ein paar Pipes ins Trinkwasser - und seither sei das Leben insgesamt angenehmer. Und sie mache das alles mit ein und derselben EM-Variante, nämlich EMa klar, die als Lufterfrischer im Handel erhältlich ist.

Erfolge im Gartenbau

Mir ging das zu schnell. "Da", sagte sie, "hier ist das Buch. Lesen Sie es, dann wissen Sie alles Nötige." Meine Ratgeberin ging davon und ich hielt ein Taschenbuch von Franz Peter Mau in Händen, dessen Titel mir "Fantastische Erfolge mit Effektiven Mikroorganismen in Haus und Garten, für Pflanzenwachstum und Gesundheit" verhieß. Die Lektüre gestaltete sich in den Tagen danach so, dass ich mehrmals laut auflachte: Die EM helfen beim Putzen, beim Entrosten von Schrauben und bei der Heilung schwerer Krankheiten. Die Welt der Bakterien, las ich, ist bis dato weitgehend unerforscht. Grob lassen sich Mikroorganismen in drei Gruppen einteilen: a) Fäulnis- und Schimmelbeförderer, b) Fäulnis- und Schimmelverhinderer und c) die große Gruppe der Opportunisten, die mitlaufen, wenn die einen oder die anderen das Sagen haben. Unter dem Kürzel EM versammeln sich Mikroorganismen der Gruppe b. Sie bringt man aus, damit die überall vorhandene Gruppe c sich dem Menschen als nützlich erweist.

"Erfinder" der EM ist der 1941 auf Okinawa geborene Teruo Higa, Professor für Gartenbau in Japan. Das Bestreben des jungen Forschers ging dahin, die Bodenbeschaffenheit so zu verändern, dass ein höherer und qualitativ besserer Ertrag erzielt werden könne. Nach Jahren voller Rückschläge kam er auf die heute zum Verkauf angebotene Bakterienmischung. Und das Merkwürdigste daran: Higa wollte damit nicht das große Geld verdienen, sondern die Welt retten, nicht mehr und nicht weniger. Denn die Effektiven Mikroorganismen reparieren Umweltschäden, stärken Pflanzen und verbessern die Haltbarkeit von Obst und Gemüse. . .

So weit war meine Lektüre gediehen, da bekamen wir Besuch aus Wien. Dass es bei uns kein Spülmittel mehr gab, nahm meine Studienfreundin A. noch hin. Sie wollte nur wissen, was die kleinen Röhrchen im Wasserkrug bewirkten? Mit distanziertem Ton in der Stimme erklärte ich ihr, die Wassercluster würden durch diese Röhrchen, im EM-Jargon "Pipes" genannt, kleiner und seien für den Körper angeblich leichter verwertbar. Ich verstehe nichts von Clustern; die für uns merkbare Auswirkung der Röhrchen bestand darin, dass unsere drei Kinder, die immer darauf bestanden hatten, eiskaltes Wasser zu trinken, nun ohne Murren temperiertes Wasser tranken. Und am Boden des stets gefüllten Kruges bildete sich, wie von Herrn Mau beschrieben, auch nach Tagen kein schleimiger Film.

Ermutigende Episode

Als meine Freundin nach einer Wanderung über wunde Stellen am Knöchel klagte, eröffnete ich ihr, Franz Peter Mau würde unser Putzmittel auf die Stelle sprühen. Die Mikroorganismen beschleunigen angeblich den Heilungsprozess. A. blickte mich ungläubig an, dann streckte sie mir ihr Bein mit Todesverachtung entgegen. Ich sprühte die EMa-Verdünnung auf die aufgewetzte Haut und befürchtete kurz, wegen Körperverletzung belangt zu werden. Nach etwa zehn Minuten, wir hatten uns plaudernd von den EM entfernt, hielt sie mir ihr zweites Bein hin. Ob ich da auch etwas drauf sprühen könne?

Diese ermutigende Episode ließ mich kecker werden. Ich bemühte mich nun nicht mehr, die Pipes im Wasserkrug zu verheimlichen. Auch wenn ich nicht verstehe, wie "Information" von den Pipes ins Wasser übergeht, wie und ob Cluster verändert werden (können), so weiß ich jedenfalls, dass meine Kinder nun lauwarmes Wasser anstandslos trinken. Der Kalk im Wasserkocher lässt sich zu erheblichen Teilen mit einem Tuch herauswischen, weil er nicht aushärtet. Und wenn das Katzenklo zu reinigen ist, eliminieren die EM den zumeist erheblichen Geruch im Nu.

Dann kaufte ich mir das Buch "EM Lösungen. Haus und Garten. Möglichkeiten und Grenzen der Effektiven Mikroorganismen" von Gisela van den Höövel und Ernst Hammes. Die beiden stellen eingangs fest, die EM seien kein Wunder-, vielmehr ein Hausmittel, dessen Wirksamkeit und Wirkungsweise man individuell erkunden müsse. Sie berichten, wie sie die EM anwenden und welchen Nutzen sie daraus ziehen.

Und sie laden dazu ein, selbst Erfahrungen zu sammeln. Also betupfte ich meine leider allzu häufig sprießenden Fieberblasen mit den Effektiven aus der Lufterfrischerflasche EMa. Und siehe da, die Bläschen hörten bald zu jucken auf, wuchsen nicht mehr weiter und heilten schnell ab.

Keine Instant-Heilung

Meine kleine Tochter J. hat gelegentlich Bläschen im Mund. Weil die Apothekenware keine entscheidende Verbesserung brachte, sprühte ich ihr eines Abends die EMa-Verdünnung auf die geröteten Stellen. Besorgt sah ich ihr ins Gesicht, doch sie meinte, das tue ihr gut. Da es zu keiner Instant-Heilung kam, sprühten wir weiterhin gelegentlich EMa-Verdünnung auf die Bläschen. Als J. eines Abends die Babysitterin aufforderte, ihr "Putzmittel" in den Mund zu sprühen, zeigte sich, wie weit wir uns schon von der Putznormalität entfernt hatten. Denn M. weigerte sich verständlicherweise, J. "Putzmittel" oral zu verabreichen. "Das ist giftig!" hielt sie der schimpfenden J. entgegen. Diese beschwerte sich am nächsten Morgen sehr über die mangelnde Fürsorge . . .

Am eindrucksvollsten wirkt EMa gegen Gestank, und das nicht nur im Eigenheim: Die Gemeinde Sand in Taufers im Südtiroler Ahrntal bewirtschaftet seit zwei Jahren die Kompostieranlage mit EM und ist offenbar so begeistert davon, dass man die örtliche Schule als EM-Partnerschule gewinnen konnte.

Ein allem Esoterischen abholder Freund aus Berlin hielt bei seinem Weihnachtsbesuch lose Reden über unsere neue Putzreligion. Nun ist er längst wieder zu Hause - und hat sich selbst eine Flasche EMa besorgt. Denn er war vom Geruch unserer Wäsche angetan: "Dieser Wäschegeruchkommt tatsächlich von dem Zeug, also setze ich es in der Waschmaschine mit Überzeugung ein."

Es gibt allerdings auch Rückschläge: Ich kuriere gerade einen starken Infekt aus. Am besten frage ich den eingangs erwähnten Holzhändler nach der richtigen Dosierung. Meine Immunabwehr könnte Stärkung gebrauchen.

Stefanie Holzer, geboren 1961, lebt als Schriftstellerin in Innsbruck. Zuletzt ist von ihr das Buch "Franz Ferdinand. Ein Katzenleben" (Limbus Verlag) erschienen.