Nicht nur böse Spekulanten, sondern vor allem die Mehrheit der Wähler | trägt die Verantwortung für die Schuldenexzesse vieler Staaten.
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Finanzminister eines durchschnittlichen europäischen Wohlfahrtsstaates zu sein, war bisher kein wirklich übertrieben schwieriges Geschäft, auch wenn die Damen und Herren Amtsinhaber meist sorgenvoll in die Kameras blicken.
Man musste als Finanzminister ja im Grunde nur einmal jährlich ein paar Milliarden Euro Kredit aufnehmen und damit irgendwelche neuen Sozialleistungen finanzieren. Das stimmte den Wähler in aller Regel milde und sicherte das politische Überleben des vermeintlichen Wohltäters. Sobald sich der Wähler an die neuen Sozialleistungen gewöhnt hatte und sie als eine Art gottgegebenes wohlerworbenes Recht empfand, musste man eben neue Milliardenkredite aufnehmen und damit wieder neue Sozialleistungen finanzieren. Um das zu verstehen, musste man nicht gerade einen Universitätsabschluss in Finanzmathematik erworben haben. Dazu genügt ein Blick auf die Genesis der "Hacklerregelung".
Um so stärker dürfte der Schock sein, den die Ereignisse der vergangenen Wochen beim einen oder anderen Finanzminister ausgelöst haben werden. Denn seit die Finanzkrise auch Italien zu erfassen drohte, ist das Geschäftsmodell der Wählerbestechung auf Kosten künftiger Steuerzahler-Generationen in Bedrängnis geraten. Es kann ja nur funktionieren, wenn Geldbesitzer in nahezu unbegrenztem Maß dazu bereit sind, den Finanzministern dieses Geld zu günstigen Konditionen zu borgen.
Dass sich nun herausstellt, dass jeder, der Geld zu verborgen hat, sich doch glatt seine Schuldner selbst aussuchen kann und zum Beispiel, wenn ihn Italien nicht mehr freut, dieses Geld Deutschland oder Österreich borgt, muss eine schmerzhafte Erkenntnis gewesen sein. Denn plötzlich zeigt sich: Ein Finanzminister kann nicht so lange Schulden machen, wie es politisch opportun ist - sondern nur so lange, wie er noch Kredit bekommt.
Weil aber die meisten Staaten der Euro-Zone dank langjähriger Anwendung des Prinzips der Wählerbestechung sich den Grenzen ihrer Kreditwürdigkeit stärker genähert haben, als zu verantworten ist, stehen sie nun vor einer unangenehmen Entscheidung: entweder Schluss zu machen mit diesem als Wohlfahrtsstaat getarnten Pyramidenspiel - oder von den Geldgebern dazu gezwungen zu werden.
Ein derartiger grundlegender Paradigmenwechsel kann freilich nur funktionieren, wenn die Wähler zumindest annähernd verstehen, dass sie bisher mit Geld bestochen wurden, das sie selbst oder ihre Kinder irgendwann mit Zins und Zinseszins abstottern müssen. Denn bisher wurden in Europa in aller Regel ja Wahlen nicht damit gewonnen, dass solide Staatsfinanzen versprochen wurden, sondern viel eher durch die Ankündigung noch üppigerer Sozialleistungen oder anderer finanzieller Wohltaten. Die Überschuldung europäischer Demokratien ist auf höchst demokratischem Wege herbeigewählt worden.
Ob Europa die akute Schuldenkrise überwinden kann, hängt vor allem davon ab, ob die Mehrheit der Wähler begreift, dass nicht irgendwelche üblen Spekulanten, sondern sie selbst bei jeder Wahl darüber entscheiden, ob ihr Staat bankrottgeht oder nicht.
Dieser Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken.