Die Republikaner konnten bei den Midterm-Wahlen in den USA zwar das Repräsentantenhaus erobern, bei genauerem Hinsehen wird ihr verhaltener Wahlsieg allerdings ambivalenter.
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Nicht nur, dass es den Demokraten gelungen ist, den Senat zu halten. Den Republikanern drohen nun Probleme in den eigenen Reihen. Durch das Zwei-Parteien-System existieren innerhalb beider großer Parteien traditionellerweise wesentlich größere Unterschiede und Flügelkämpfe, als dies in europäischen Parteien üblich ist. Dies gilt nach diesen Wahlen vor allem für die Republikanische Partei, für die ihr Wahlsieg möglicherweise zum Pyrrhussieg werden könnte.
Die Extremisten der Tea Party stehen nicht nur im scharfen Gegensatz zu den Demokraten, sondern auch in Konflikt mit dem alten republikanischen Establishment, und ihre Kandidaten der haben keineswegs überall so gut abgeschnitten wie erwartet. Kandidaten der Tea Party konnten zwei Senatssitze gewinnen, scheiterten aber bei zwei, die sie unbedingt gewinnen wollten. Nevada und Delaware wären hingegen für traditionelle Republikaner vermutlich zu gewinnen gewesen. Der Extremismus der Tea-Party-Kandidaten hat hier potenzielle Wähler offenbar abgeschreckt. Richtungskämpfe innerhalb der Republikaner werden nicht lange auf sich warten lassen.
Die Tea Party hat sich zum US-Pendant der rechtspopulistischen und rechtsextremen Bewegungen in Europa entwickelt. Die anhaltende Wirtschaftskrise, die die Mittelschichten ernsthaft gefährdet, führt zu sehr unterschiedlichen Reaktionen. Während sich Teile der US-Bürger nach einem Sozialstaat nach europäischem Vorbild sehnen oder plötzlich sogar darüber hinausgehende Alternativen zum Kapitalismus, die in den USA über Jahrzehnte tabuisiert waren, diskutiert werden, schließen sich andere zur aggressiven Verteidigung der eigenen Besitztümer gegen Migranten und Arme aber auch "die da oben" zusammen.
Auch die Tea-Party-Anhängerschaft setzt sich zu großen Teilen aus Angstbeißern zusammen, deren berechtigte Abstiegsängste sie nicht zu einer Kritik der politischen Ökonomie, sondern zum Ressentiment führen. Wie in Europa ist dies jedoch auch in den USA eine Folge der Unfähigkeit fortschrittlicher Kandidaten, eine klare und überzeugende Gegenposition zu formulieren. Vielen Wählern Barack Obamas gingen die bisherigen Reformen nicht weit genug. Dass einige von ihnen bei diesen Wahlen aus Protest zu Hause blieben, ermöglichte den Wahlsieg der Republikaner mit.
Die US-Gesellschaft driftet damit weniger nach rechts wie viele europäische Gesellschaften. Vielmehr verstärken sich die inneren Konflikte, und das könnte auch von Links genutzt werden. Die Frage ist jedoch, ob es fortschrittlichen Kräften gelingen kann, einen klaren Gegenentwurf zu einer entsolidarisierten Gesellschaft zu entwickeln und dem Verteilungskampf um knapper werdende Ressourcen entgegenzusetzen.
Thomas Schmidinger ist Politikwissenschafter und derzeit Research Fellow an der University of Minnesota (USA).