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Quälgeister andernorts

Von Alexandra Grass

Wissen
Weibliche Gelsen benötigen Blut zur Vermehrung.
© © © Dennis Kunkel Microscopy, Inc./Visuals Unlimited/Corbis

Heimische Arten sind nicht weniger gefährlich als die tropischen Mücken.


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Wien. Die Abende auf der eigenen Terrasse, am Balkon oder im Schanigarten lassen sich an vielen Orten Österreichs diesen Sommer auffällig frei von Quälgeistern wie Gelsen verbringen. Hingegen sorgen Bremsen für immer mehr Unmut sowohl im Schwimmbad als auch in den eigenen vier Wänden. Die klimatischen Bedingungen liefern die Vorgabe für die Anzahl der jeweiligen Insekten-Populationen.

Das eher geringe Gelsenvorkommen resultiert aus der Tatsache, dass die ausufernden Überschwemmungen, wie sie Österreich in den vergangenen Jahren immer wieder erlebt hat, heuer bisher ausgeblieben sind. Laubverstopfte Dachrinnen mit Wasserbeständen oder kleinere Tümpel, in denen die Larven der Stechmücken für gewöhnlich heranwachsen, sind aufgrund der heißen Sommertage kaum vorhanden gewesen. Auch sei der Frühling zu trocken gewesen, wodurch sich viele Gelsen gar nicht ausgebildet haben, erklärte der Biologe und Gelsenforscher Bernhard Seidel im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Feuchtstellen genügen

Bremsen hingegen benötigen zum Heranwachsen keine Gewässer, sondern lediglich Feuchtstellen - und Wärme. Wenn die Quecksilbersäule nach oben wandert, erwärmt sich auch der Schlamm, in dem sich der Bremsennachwuchs befindet, und die Entwicklung der Larven geht schneller voran, so Seidel. Zu bestimmten Zeiten ist damit eine größere Population unterwegs - zum Leidwesen des Menschen.

Denn Bremsen sind "Kamikaze-Blutsauger". Obwohl sie - kaum geschlüpft - sehr hitzeempfindlich sind und schnell austrocknen, jagen sie trotzdem untertags in der größten Sommerhitze. Im Gegensatz zu Gelsen ist der Biss von Bremsen deutlich schmerzhaft. Mögliche Krankheitsüberträger - sogenannte Vektoren -, vor allem von Viren, sind beide blutsaugenden Arten.

Tiger- und Buschmücke

Ins Gelsengetümmel haben sich in den letzten Jahren auch sogenannte invasive Arten, wie die asiatische Buschmücke oder die Tigermücke, gemischt, die zuletzt immer wieder für Angst machende Schlagzeilen sorgten. Die Tigermücke sei zwar in der Lage, das Dengue-Fieber und andere virale Erreger zu verbreiten, heimische Gelsen könnten aber ebenso Krankheiten wie das Usutu-, das West-Nil- oder das Tahyna-Virus verbreiten und täten das auch regelmäßig, betont Seidel.

Die tropischen Arten kommen, anders als die Hausgelsen, mit wesentlich widrigeren Lebensumständen zurecht. Für sie reichen temporäre, stehende und kleinste Gewässer aus, um sich optimal vermehren zu können. Um in unseren Breiten äußerst seltene Virenarten zu verbreiten, müsste die Tigermücke den Erreger schon mitbringen. Ein gesundes Tier sei also absolut nicht gefährlich, so der Experte.

Viel eher kommt es bei Mückenstichen zu bakteriellen Infektionen. Vor allem dann, wenn durch Reiben oder Kratzen der juckenden Hautstelle Erreger in die Einstichstelle gelangen.

Auf jeden Fall werden die neuen Bewohner "massiv im Auge behalten" und Kontrollstrategien entwickelt, betont der Gelsenexperte. Werden jedoch keine Gegenmaßnahmen ergriffen, können sich die tropischen Arten immer mehr ausbreiten und die heimische Gelse praktisch vertreiben.

Denn Tigermücken etwa sind sogenannte Konkurrenzbrüter und verhalten sich dominant. "Sie kicken die anderen aus dem Nest und reduzieren damit die Anzahl der heimischen Arten", erklärt Seidel. Auch vermehren sie sich öfter, was zu wesentlich mehr Mückengenerationen pro Jahr führt.

Ein Vorteil der tropischen Quälgeister: Sie halten sich nur im Freien auf, während die heimischen Gelsen zum Überwintern in die Häuser kommen.