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Qualitätsjournalismus wird nicht gewünscht

Von Gerfried Sperl

Die Reformvorschläge für die "Wiener Zeitung" sind dilettantisch. Die Eigentümer sind Fans von Social Media.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Bis zu 230 Millionen Euro werden jährlich allein für Regierungsinserate an Zeitungen überwiesen. Wie viele Menschen diese Propaganda lesen, weiß niemand so recht. Für die Zuerkennung gilt die Gesamtleserzahl. Die Parteien finden diesen Maßstab okay. Bei der "Wiener Zeitung" ist hingegen Groscherlzählen angesagt. 8.000 Leserinnen und Leser habe sie nur, rechnete Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) der Öffentlichkeit vor. Tatsächlich handelt es sich dabei um die Zahl der Abonnenten, die Leserzahl liegt immerhin weit über 20.000. Niemand weiß, ob die genannten 8.000 nicht auch für die "Kronen Zeitung" oder "Österreich" oder für den "Standard" und die "Presse" gelten können - als Zahl für jene, die dort tatsächlich politische Inserate konsumieren.

Ministerin Raab, aber auch die für Medien zuständige grüne Abgeordnete Eva Blimlinger, eine ehemalige Universitätsrektorin, hat sicher nahezu nie die "Wiener Zeitung" gelesen. Die Ignoranz in den Äußerungen der beiden ist ein starkes Indiz. Seit dem Jahr 2005, als Andreas Unterberger als Chefredakteur das Blatt übernahm, war eine Entwicklung zu inhaltlicher Qualität unverkennbar. Seit Oktober 2018, dem Beginn der Chefredaktion von Walter Hämmerle, hat sich die "Wiener Zeitung" endgültig als Qualitätsblatt etabliert.

Nur online nicht lebensfähig

Dass gerade unter den Regierungen von Sebastian Kurz die aktuelle Debatte über ihre Abschaffung begann, lässt tief blicken. Der Jungkanzler wollte sie in eine "Wandzeitung", ein "Schwarzes Brett", umfunktionieren. Damit war klar: Diese Regierung und weite politische Kreise wollten nicht noch eine relativ unabhängige politische Stimme im Land. Eine mit Qualität schon gar nicht. Also ließ man sich eine "Reform" einfallen:

Die Zeitung selbst soll ab 2023 täglich online erscheinen. Einwände: Rein betriebswirtschaftlich spart man dabei nur die Druckkosten. In der Medienrealität hat sich herausgestellt, dass Online-Medien auf längere Sicht ohne den Hintergrund einer gedruckten Zeitung ökonomisch nicht lebensfähig sind. Bei ersten Schwächezeichen würde man, um Journalisten zu sparen, zur Reihung der Themen und Nachrichten Algorithmen einsetzen. Diese werten nur nach Beliebtheit der Stoffe und wandeln Qualität in Boulevard um.

Gedruckt werden soll die "Wiener Zeitung" als Monatszeitung zehnmal im Jahr. Mit Ausnahme des "Falter", der Wiener Stadtzeitung, hat sich in Österreich kein Wochenprojekt realisieren lassen. Nur das Magazin "profil" war wirklich erfolgreich, aber dieses Modell lässt sich nicht auf die "Wiener Zeitung" anwenden.

Für einen "Media Hub" samt staatlicher Journalistenausbildung soll es 6 Millionen Euro geben. Eine Schnapsidee. Die Regierung (= Parteien) würde nur konforme Lehrkräfte einsetzen. Eine Bereicherung? Nur für die Parteienlandschaft.

Ein struktureller Fehler

Das Ganze trägt die Handschrift von Dilettanten. Der von Raab und Blimlinger vorgestellte "Reformplan" birgt vor allem auch einen strukturellen Fehler: Man kann die Architektur eines mit journalistischen Inhalten lesbar gemachten "Amtsblattes" nicht verändern. Deshalb findet man auch keinen Investor.

Warum belässt man es nicht bei einer Doppelversion - wie bisher das Blatt sowohl gedruckt als auch online zu publizieren? Weil die Regierung keinen zusätzlichen Störenfried in der Landschaft will. Wenn sie wollte, würde sie auch weiterhin die "Wiener Zeitung" finanzieren und als Eigentümer eine begrenzte Zeit für sie auf ORF III werben.