Angeschlagene britische Premierministerin entschuldigt sich bei Parteikollegen für Wahlschlappe.
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London. Mit unerwarteter Dramatik endete am Mittwoch der Parteitag der britischen Konservativen in Manchester. Premierministerin Theresa May quälte sich vor den Augen der Nation durch eine Ansprache, die als "die Rede ihres Lebens" angekündigt worden war. Erst musste sich May für das enttäuschende Wahlergebnis der vorgezogenen Unterhauswahlen vom Juni bei ihren Parteigängern in aller Form entschuldigen. Sie trage die Verantwortung für das schwache Ergebnis, bekannte sie: "Es tut mir leid."
Dann überreichte ihr ein zum Podium vorgedrungener Komödiant ein Arbeitslosenformular, das ihr angeblich "von Boris Johnson" zugedacht war. Der eklatante Verstoß gegen die Sicherheitsvorkehrungen erhöhte die Nervosität im Saal. May selbst begann wenig später die Stimme zu versagen - ausgerechnet an der Stelle, an der sie den Delegierten zurufen wollte: "Großbritanniens langfristige Zukunft ist strahlend hell!"
Den Rest der Rede bewältigte die Partei- und Regierungschefin nur mit größter Mühe. Zeitweise fast tonlos, quälte sie sich von Satz zu Satz. Extraapplaus der bestürzten Delegierten half ihr durch die immer wieder entstehenden Pausen. Am Ende ihrer Rede, das auch das Ende des Parteitags war, schien May nahe den Tränen und einem Nervenzusammenbruch. Sie wurde von ihrem Ehemann Philip rasch von der Bühne geführt.
Dabei hatte die Premierministerin mit ihrer Rede den Parteitag für "eine Erneuerung des britischen Traums" begeistern wollen. Der Traum umfasste für sie "ein globales Britannien, das über die Grenzen Europas hinaus blickt" - und "stolz dasteht in der Welt". Einzelheiten zum kommenden Brexit mochte die 61-Jährige aber nicht enthüllen. Sie äußerte sich weder zur geplanten Übergangsphase nach dem EU-Austritt im März 2019 noch zur längerfristigen Zukunft. May erklärte lediglich, sie wünsche sich "eine enge Partnerschaft mit der EU, die es uns erlaubt, mit einander Handel zu treiben und gut zusammenzuarbeiten" - bei der Großbritannien aber "als souveräne Nation" wieder über seine eigenen Geschicke bestimmen könne.
May zeigte sich "zuversichtlich" über die laufenden Verhandlungen in Brüssel, ihre Regierung wappne sich aber natürlich auch für die Eventualität eines Scheiterns. Ihre Minister forderte May auf, beim Brexit-Streit "persönlichen Ehrgeiz" hintanzustellen.
Diesen gelang es nicht, auf dem Parteitag eine klare Brexit-Linie zu verkünden. Selbst die Frage, wie lange die Interimsperiode der Abkoppelung von der EU sein soll, hängt weiter in der Schwebe. In ihrer Rede in Florenz hatte May von "etwa zwei Jahren" gesprochen. Außenminister Johnson nannte diesen Zeitraum im Anschluss als absolutes Maximum: Die Frist dürfe "keine Sekunde länger sein". Schatzkanzler Philip Hammond fand dagegen, man könne den Übergang auf drei Jahre anlegen. Eine längere Frist - mindestens bis Ende 2021 - verlangen viele britische Wirtschaftstreibende.
Johnson verärgerte mit seinen Brexit-Kommentaren in Manchester viele seiner Fraktionskollegen. Unter anderem meinte er, man müsse um jeden Preis verhindern, dass Großbritannien nach seinem EU-Austritt "in einem schäbigen Vorzimmer zur EU" hängen bleibe, in dem es "jämmerlich auf Essensreste wartet, ohne noch über die Speisekarte mitentscheiden zu können".
Wie andere Brexit-Hardliner will Johnson nicht zulassen, dass sein Land im Binnenmarkt oder in der Zollunion der EU oder sonst wie "in der Umlaufbahn der EU" verbleibt. Einige Kollegen konnten sich daraufhin Seitenhiebe gegen ihn nicht versagen.
Auf scharfe Kritik stieß auch eine andere Bemerkung Johnsons, mit der er sich erneut in die Nesseln setzte. Die libysche Stadt Sirte, meinte er, könne mit etwas westlicher Hilfe bald schon ein zweites Dubai werden: Die Bürger Sirtes müssten halt nur vorher "die Leichen wegschaffen", die dort in den Straßen lägen. Nach dieser "krassen Äußerung" forderte eine ganze Reihe von Tory-Abgeordneten die sofortige Entlassung Johnsons.