Vor 40 Jahren verbrannte der Formel-1-Fahrer Roger Williamson im Grand Prix von Holland in Zandvoort. Vor den TV-Geräten erlebten Millionen von Zuschauern die erschütternde Hilflosigkeit der Rettungskräfte.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wohl kaum einem Zuschauer war aufgefallen, dass Roger Williamson in seinem March nicht rechtzeitig an den Start gerollt war und deswegen den holländischen Grand Prix in Zandvoort am 29. Juli 1973 aus der letzten Reihe aufnehmen musste. Doch wie durch Blitz und Donner zugleich wird der Brite wenige Runden später in den Fokus der Aufmerksamkeit geschmettert: Sein Wagen hatte sich überschlagen und schlittert brennend mit dem Heck voran die rechte Leitschiene entlang. Der Feuerball, dem ein gewaltiger glühender Schweif hintennach züngelt, kommt erst nach einer halben Ewigkeit zum Stehen.
Millionen Formel-1-Fans vor ihren TV-Geräten sehen nun, wie ein Rennfahrerkollege, der seinen Wagen am linken Streckenrand abgestellt hat, quer über die Piste zur Unfallstelle spurtet. Er versucht, den brennenden Wagen auf die Räder zu kippen, um dadurch die Rettung des darin festsitzenden Kameraden zu ermöglichen. Der jedoch, so wird man später sagen, hatte zu jenem Zeitpunkt so gut wie keine Chance mehr, diesen Unfall zu überleben.
Angst vor dem Feuer
Es war das Feuer, das die Rennfahrer lange Zeit am meisten fürchteten. Benzin, das aus hauchdünnen Alutanks, die zuweilen schon ein zu harter Drift über die Randsteine leck schlug, austrat und sich am heißen Motor entzündete. Die Angst, bei einem Unfall im Wagen eingeklemmt hilflos zu verbrennen, saß den Fahrern permanent im Nacken.
Da half auch nicht, dass nach dem Feuertod des Italieners Lorenzo Bandini in Monte Carlo 1967 fortan gut ausgerüstete Feuerwehrleute entlang der Strecke für die rasche Eindämmung von Autobränden sorgen sollten. Denn die Serie der Feuerunfälle ging weiter. Jo Schlesser verbrannte 1968 in Rouen, Piers Courage 1970 in Zandvoort. Dieser britische Fahrer, ein Brauereierbe, wurde von einem wahren Flammeninferno, das der hohe Magnesiumanteil in der Konstruktion seines Boliden ausgelöst hatte, geradezu heißhungrig verschlungen. Der Brand hatte sogar auf umstehende Bäume übergegriffen, die Feuerwehr benötigte Stunden, ihn zu löschen.
Der Flammentod von Jo Siffert beim World Championship Victory Race in Brands Hatch 1971 führte zu einer Diskussion über die Sinnhaftigkeit der seit jener Saison vorgeschriebenen Sicherheitsgurte. Noch immer fürchteten viele Fahrer, das Cockpit könne bei einem defekten Verschluss zur Feuerfalle werden.
Im südafrikanischen Kyalami 1973 wurde der Schweizer Clay Regazzoni von seinem Fahrerkollegen Mike Hailwood gerade noch rechtzeitig aus seinem lichterloh brennenden BRM gehievt. In Silverstone wird nach einem Massenunfall erstmals in der WM-Geschichte ein Rennen unterbrochen, im kanadischen GP von Mosport erstmals das Pace-Car eingesetzt. Sportlich geriet jene Saison zum Duell zwischen dem regierenden Champion Emerson Fittipaldi aus Brasilien und dem schottischen Doppelweltmeister Jackie Stewart. Am Ende hatte Stewart seinen dritten Titel in der Tasche und trat mit der beachtlichen Erfolgsquote, 27 von 99 Grand Prix gewonnen zu haben, vom Rennsport zurück. Der Brite James Hunt fuhr im neu gegründeten Rennstall von Lord Alexander Hesketh gleich 14 WM-Punkte ein, und Niki Lauda hatte in Monte Carlo mit einem Höllenritt in seinem BRM das Ticket für Ferrari gelöst.
Ein junges Talent
Auch für den 25-jährigen Roger Williamson hätte 1973 der Start für eine aussichtsreiche Formel-1-Karriere werden können. Der sympathische Brite hatte sich in niedrigen Rennklassen einen Namen gemacht und war vom englischen Renn-Scout Tom Wheatcroft zu March gelotst worden. Der 1970 von Max Mosley, Graham Coaker und Robin Herd gegründete Rennstall galt als Einsteigerteam, wo Talente wie Ronnie Peterson, François Cevert und auch Niki Lauda ihren ersten Schliff bekommen hatten. Williamson feierte in Silverstone sein Formel-1-Debüt - und beendete es noch in der ersten Runde in einer Massenkarambolage.
Zandvoort, sein zweiter Grand Prix, wird sein letzter. Es heißt, dass aus dem brennenden Wagen noch seine Schreie zu hören waren. Streckensicherungsfunktionäre kommen hinzu, weichen aber mangels entsprechender Kleidung und Ausrüstung vor dem Feuer zurück. Den Boliden auf die Räder zu drehen, war nicht geglückt. Der Rennfahrerkollege, mit feuerfestem Overall und Helm als Einziger entsprechend adjustiert, hat mittlerweile einem Streckenposten den Feuerlöscher entrissen, ihn nach mehreren hastigen Versuchen in Betrieb gesetzt und hält den Schaumstrahl nun auf die Flammen zu. Doch ihrer ist nicht Herr zu werden.
Mittlerweile stehen vier Streckenposten neben dem brennenden Boliden - und bieten ein Bild erschütternder Hilflosigkeit. Einer wirbelt mit dem Fuß Sand in das Feuer, als würde er einen Hund verscheuchen. Ein anderer deutet den Piloten in den vorbeifahrenden Wagen mit sparsamen Handbewegungen, sie mögen ihr Tempo reduzieren. Ein weiterer dreht sich rat- und tatlos zur Seite, der vierte ist es wohl, der einen Notruf an die Rennleitung absetzt.
Dort erhält man in Ermangelung eines Fernsehapparats keine Bilder von dem Drama, das sich im Streckenabschnitt Tunnel Oost abspielt. Die Qualmwolken, die von der Unfallstelle aufsteigen, werden als Rauch eines Lagerfeuers, das Zuschauer entfacht haben, missinterpretiert. Da die Fahrer ihre Geschwindigkeit kaum ändern und die Rundenzeiten mehr oder weniger konstant bleiben, sieht man sich auch nicht veranlasst, das Rennen zu unterbrechen. Offenbar hat der Notruf die Rennleitung nie erreicht.
Der Mann in Overall und Helm winkt in seiner Verzweiflung Zuschauer von der Naturtribüne herbei. Sie werden - so berichten Zeugen später - von einem Polizisten mit einem Hund zurückgehalten. Keiner der Fahrer, denen er mit heftigen Armbewegungen bedeutet, stehenzubleiben, hält an. Schließlich gibt der Mann im Overall auf und wendet sich von der Unfallstelle ab. Das Wrack hinter ihm brennt noch immer. Nachdem es von der später eintreffenden Feuerwehr gelöscht sein wird, wird man den Leichnam mit einem Tuch bedecken und das Rennen zu Ende fahren. Als man Niki Lauda nach der Zielankunft fragt, warum er nicht gestoppt habe, meint er: "Ich werde fürs Fahren bezahlt, nicht fürs Parken."
Was dem Österreicher lange Zeit als Kaltschnäuzigkeit ausgelegt worden war, offenbarte in Wahrheit den Kern der Tragödie. Die Fahrer hatten angenommen, der Mann im Overall lösche seinen eigenen Wagen. Erst nach dem Rennen wurde für sie klar, es war nicht Williamson, sondern David Purley, der unmittelbare Augenzeuge des Unfalls, der geistesgegenwärtig aus seinem Wagen gesprungen war, den Feuerlöscher bedient, am Streckenrand heftig Hilfe herbeigewinkt und alles in seiner Macht Stehende unternommen hatte, um das Leben seines Landsmanns zu retten.
Die englische Königin verlieh Purley die George Medal, eine der höchsten Auszeichnungen des Commonwealth für außerordentlichen Mut. Er steht damit in einer Reihe mit dem australischen Luftwaffenoffizier Harry Cobby, der britischen Widerstandskämpferin Nancy Wake und seinem Rennfahrerkollegen Mike Hailwood, der mit seinem entschiedenen Einschreiten Clay Regazzoni vor dem Feuertod bewahrt hatte. Nach einem schweren Rennunfall beendete Purley 1977 seine Karriere und kam 1985 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben.
Rennsport-Fatalismus
Heute fragt man sich: Warum verfügte die Rennleitung über kein TV-Gerät, obwohl das Rennen vom holländischen Fernsehen übertragen wurde? Warum durfte die Feuerwehr, die bloß wenige hundert Meter entfernt stationiert war, nicht gegen die Fahrtrichtung zum Unfallort fahren, sondern musste den zeitraubenden Weg um den ganzen Kurs nehmen? Warum wurde das Rennen nicht unterbrochen, um nach Löschung des Brands durch die Feuerwehr zumindest Wrack und Leiche bergen zu können?
Möglich, dass diese Überlegungen damals aber gar keine Rolle spielten, weil der Rennsport bis in die 1970er Jahre von einem mal optimistisch, mal zynisch gefärbten Fatalismus geprägt war. Der britische Weltmeister Mike Hawthorn meinte nach dem Unfalltod seines Teamkollegen Luigi Musso 1958 in Reims: "He’s gone. Nothing we can do. Let’s go out and have a drink." An dieser Einstellung hatte sich lange Zeit nichts geändert.
Erst mit einer neuen Fahrergeneration kamen strengere Sicherheitsstandards. Heute besteht das Monocoque aus Karbon, das siebenmal belastbarer als Aluminium ist. Weder Öl- noch Treibstoffleitungen führen durchs Cockpit, das Löschsystem wurde eklatant verbessert, die Seitenwände des Cockpits sind hochgezogen. Das Lenkrad ist abnehmbar, der Fahrer muss das Auto innerhalb von fünf Sekunden verlassen können.
Zum Schutz der Wirbelsäule sind der Head- and Neck-Support (HANS) sowie die Möglichkeit, den Fahrer mitsamt der Sitzschale bergen zu können, zwingend vorgeschrieben. Die Helme werden vor ihrer Zulassung mittels herabsausender Metallteile sowie brachialer Zug- und Druckbelastungen auf ihre Bruchfestigkeit getestet. Das Visier muss Projektilen, die mit 500 km/h abgefeuert werden, standhalten.
Mehr Sicherheit
Ebenso wie die Helme haben auch die aus Nomex hergestellten Fahreranzüge bei Hitzetests von bis zu 600 Grad zu beweisen, dass sie zumindest für einige Sekunden lang absolut feuerfest sind.
Die heutige Sicherheitsstaffel wird auf höchstem Niveau ausgebildet, ihr Einsatzgebiet ist mittlerweile hoch differenziert. Dass die Streckenposten, heute im Formel-1-Jargon Marshalls genannt, noch in Freizeitkleidung erscheinen, war nach Zandvoort 1973 bald undenkbar.
Dennoch verdankt das Opfer des nächsten schweren Feuerunfalls sein Leben einem Kollegen. Arturo Merzario war es, der am Nürburgring 1976 das klemmende Gurtschloss von Niki Lauda öffnete und den Weltmeister aus der Flammenhölle befreite. Ronnie Peterson kann in Monza 1978 zwar schnell aus seinem brennenden Lotus geborgen werden, stirbt aber tags darauf an den Folgen einer Embolie.
Seither ereignen sich schwere Feuerunfälle eher abseits der Strecke. Erst im Vorjahr mussten nach dem spanischen Grand Prix in Barcelona 31 Personen mit Verbrennungen und Rauchgasvergiftungen, die sie beim Brand in der Williams-Box erlitten hatten, ärztlich versorgt werden. Roland Ratzenberger und Ayrton Senna waren 1994 die letzten Fahrer, die ihr Leben ließen. Aber der Tod schlägt in der Formel 1 noch immer zu. Zuletzt beim heurigen Grand Prix von Kanada, als ein 38-jähriger Marshall von einem Kranwagen überfahren wurde.
Thomas Karny, geb. 1964, ist Sozialpädagoge, Autor und Journalist. Mehrere Buchveröffentlichungen zur Zeit- und Motorsportgeschichte. Lebt in Graz.