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Quantensprung

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

Das neue Statistikgesetz bietet eine gute Balance zwischen Datenzugang und Datenschutz


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Januswörter zeichnen sich dadurch aus, dass sie mindestens zwei Bedeutungen haben, wobei eine davon das genaue Gegenteil der anderen aussagt. Sie stehen somit im Widerspruch zu einem berühmten Zitat aus Ludwig Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus: "Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen".

Ein Quantensprung kann nun jedoch entweder nach der nichtwissenschaftlichen Definition "ein Fortschritt sein, der eine Entwicklung innerhalb kürzester Zeit ein sehr großes Stück voranbringt", oder die Änderung des Energieniveaus eines Elektrons beschreiben. Die geplante Novelle des Bundesstatistikgesetzes sowie des Forschungsorganisationsgesetzes hat das Potential, ein Quantensprung im Sinne seiner nichtwissenschaftlichen Bedeutung zu werden.

Die Novelle sieht die Schaffung eines "Austrian Micro Data Centers" vor. Angesiedelt wird das Center bei der Statistik Austria. Über diese neue Abteilung können die österreichischen Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen einen geregelten Zugang zu pseudonymisierten personen- und unternehmensbezogenen Individualdaten der amtlichen Statistik und freizugebenden Registern der öffentlichen Verwaltung erhalten.

Vor allem die sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Forschung kann von diesem Zugang profitieren. So können neue Forschungsfragen behandelt und belastbarere Evidenz für relevante gesellschafts- und wirtschaftspolitische Fragestellungen durch die Wissenschaft bereitgestellt werden. Gleichzeitig trägt die geplante Novelle durch eine Reihe von technischen Maßnahmen und rechtlichen Vorgaben den maßgeblichen Datenschutzerwägungen Rechnung. So verbleiben die Daten die ganze Zeit auf sicheren Servern der Statistik Austria und die WissenschaftlerInnen können ausschließlich ihre statistischen Analysen auf Basis der Daten ausführen.

Trotz anderslautender Behauptungen einer Datenschutz-NGO wurde in dem Gesetz eine gute Balance zwischen Datenzugang für die Wissenschaft und Datenschutz gefunden. Auch kann die Statistik Austria nicht - wie anderslautend kommentiert - Daten nach Gutdünken und ohne rechtliche Vorgaben weiterverarbeiten.

"Papier ist geduldig": Wer die österreichische Politik der letzten Jahrzehnte verfolgt hat, weiß dies nur zu gut. Nach der Verabschiedung der Novelle durch das Parlament wird es sich letztlich an der praktischen Umsetzung der Novelle des Bundesstatistikgesetzes entscheiden, wie groß oder klein der Quantensprung für den österreichischen Wissenschaftsstandort und die Möglichkeit von evidenzbasierter Politik tatsächlich ausfallen wird.

Zum einen muss die notwendige Infrastruktur für das Austrian Micro Data Center erst aufgebaut und Prozesse für die Zusammenarbeit der Wissenschaft mit der Statistik Austria müssen etabliert werden. Kooperationsbereitschaft von allen Seiten wird hier für den Erfolg des Projekts entscheidend sein. Zum anderen liegt es an der Politik zu entscheiden, zu welchen Registern der Wissenschaft durch Verordnungen tatsächlich Zugang gewährt wird.

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