Was sich Albert Einstein noch nicht vorstellen konnte. | Verschlüsseln von Informationen mittels Quantenkryptografie. | Berlin. Die Socken des Physikers Reinhold Bertlmann von der Wiener Universität konnte der berühmte Nobelpreisträger Albert Einstein gar nicht kennen, als er im Jahr 1935 eine "spukhafte Fernwirkung" in der Quantenphysik widerlegen wollte. Denn Bertlmann kam erst zehn Jahre später zur Welt.
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1981 aber erklärten die Socken des Österreichers in einem Artikel im Fachmagazin "Journal de Physique", dass der Spuk, den Einstein sich nicht vorstellen konnte, Realität werden kann. Heute arbeiten Physiker wie Heinrich Stolz und Werner Vogel von der Uni Rostock mit "Bertlmanns Socken", um die Grundlagen für eine Verschlüsselungsmethode zu schaffen, die nicht geknackt werden kann, ohne dass der Spion dabei auffliegt.
Reinhold Bertlmann trug seit seinen Studententagen immer verschiedenfarbige Socken. War der Strumpf am rechten Fuß zum Beispiel pinkfarben, leuchtete der linke grün oder blau, aber keinesfalls pink. Wer diese Gewohnheit kannte und einen pinkfarbenen Socken an Bertlmanns rechtem Fuß sah, konnte mit Sicherheit vorhersagen, dass die unter dem Hosenbein verborgene linke Socke nicht pink war.
Genau solche Vorhersagen aber sollten in der Quantenphysik nicht funktionieren, hatte Werner Heisenberg 1927 herausgefunden: Saust ein grünes Lichtteilchen hinter einer Wand hervor, sollte auch der beste Physiker daraus nicht folgern können, dass ein noch hinter der Wand verborgenes Lichtquant keinesfalls grün sein könne. Genau das war die "spukhafte Fernwirkung", die Einstein nicht glauben wollte.
Photonen miteinander "verschränkt"
"Diese Fernwirkung aber ist seit 1982 in verschiedenen Experimenten nachgewiesen", erklärt der Rostocker Physiker Stolz. So kann man Atome mit einem Laser so beschießen, dass sie zunächst ein wenig Energie aufnehmen. Jedes so angeregte Atom gibt diese Energie rasch wieder in Form von zwei Lichtteilchen ab, die in entgegengesetzten Richtungen aus dem Atom heraus sausen.
Diese beiden Lichtquanten aber haben eine frappierende Gemeinsamkeit mit Bertlmanns Sockenmode: Dreht eines dieser auch "Photonen" genannten Teilchen sich nach rechts um seine eigene Achse herum, muss das andere Photon sich linksherum drehen. Während aber der Wiener Physiker die Wahl seiner unterschiedlichen Sockenfarben mit den Gesetzen der Naturwissenschaft kaum erklären kann, gibt es sehr wohl ein Naturgesetz, das die entgegengesetzten Drehungen der Photonen erzwingt.
Schießen die Photonen gerade aus dem Atom heraus, ist dieser Zusammenhang noch völlig einsichtig. Beide Photonen sind miteinander "verschränkt", so nennen Physiker diese gegenseitige Abhängigkeit. Zwar weiß niemand, welche Drehrichtung ein bestimmtes Photon hat. Sobald aber eines der Photonen als rechtsdrehend entlarvt ist, muss das andere links herum drehen. Auch bei Bertlmann wissen seine Mitarbeiter nicht, welche Sockenfarben er am Morgen ausgewählt hat. Sobald sie aber eine pinkfarbene Socke erspähen, wissen sie eines genau: Die andere kann keinesfalls pink sein.
Nun entfernen sich die Socken des Wiener Physikers nie weit voneinander, während der Abstand zwischen den beiden in entgegen gesetzte Richtungen davonschießenden Photonen schon nach einer Sekunde mit rund 600.000 Kilometern weit mehr als die Entfernung zwischen Erde und Mond beträgt. Misst nach dieser Sekunde ein Physiker die Drehrichtung eines der beiden Photonen und weiß über deren Verschränkung Bescheid, kennt er sofort die entgegengesetzte Drehung des anderen, obwohl dieses bereits zwei Sekunden entfernt ist und von der Erkenntnis des Forschers noch gar nichts mitbekommen konnte.
Die "spukhafte Fernwirkung" nach Einstein funktioniert also nur, solange man den Zusammenhang kennt. Genauso basiert die Vorhersage der Sockenfarbe auf der Kenntnis der Bertlmann’schen Modevorstellungen.
Exakt auf solchen Verschränkungen aber fußt auch die Verschlüsselungsmethode, an der in Rostock Vogel in der theoretischen Physik und Stolz mit physikalischen Experimenten forschen. Da die Labors der Rostocker Universität irdische Dimensionen haben, misst der Experimentalphysiker auch nicht Photonen, die bereits 300.000 Kilometer weit geflogen sind, sondern beschränkt sich auf ein oder zwei Meter Abstand, um die Verschränkung zu untersuchen.
Kennt man einmal die Verschränkung, ist es nicht mehr weit zu der "Quantenkryptografie" genannten Verschlüsselung mit Hilfe dieser Photonen. Die Absenderin einer Nachricht nennen die Forscher immer "Alice". Sie erzeugt mit einem Laser etliche solcher Photonen nacheinander und misst die Drehung jeweils eines dieser Teilchen.
Diese vorher nicht bekannten Informationen für jedes der Teilchen schickt sie über eine sichere Leitung an ihren anderswo arbeitenden Kollegen, der "Bob" getauft wurde. Dieser erhält auch den gleichzeitig erzeugten Strahl mit den zwar verschränkten, aber nicht vermessenen Photonen. Nach den klassischen Regeln der Kryptografie kann man diese völlig zufälligen Reihenfolgen von Drehungen als Code verwenden, um eine Nachricht zu verschlüsseln.
Wie "Alice" und "Bob" die Spionin austricksen
Aus Spionagethrillern ist aber längst bekannt, dass jeder Code geknackt werden kann, wenn man nur genug Zeit und Knowhow für diese Spionage aufwendet. Genau da aber liegt der Riesenvorteil der Quantenkryptografie. Sendet "Alice" den Schlüssel an "Bob", könnte eine "Eve" genannte Spionin sich dazwischenschalten und den Code abfangen. Damit "Bob" nichts merkt, müsste sie andere Photonen zu ihm weiterschicken. Dummerweise aber kennt sie die Reihenfolge der Drehrichtungen nicht, die mit dem abgefangenen Code gleichzeitig entstanden ist und die "Alice" auf der sicheren Leitung an "Bob" geschickt hat.
Zwangsläufig haben ihre Ersatz-Photonen daher eine andere Reihenfolge, und "Bob" sieht bei einem Vergleich sofort, dass ein Spion in der Leitung war. "Alice" kann dann einen neuen Code schicken, und erst wenn dieser nicht geknackt wurde, folgt die damit verschlüsselte Nachricht.
Eine solche absolut sichere Verschlüsselung gab es bisher noch nicht. Die Quantenkryptografie dürfte also in der Zeit der pausenlos via Internet übertragenen Informationen reißenden Absatz finden. Und Stolz kommt mit seinen Experimenten in Rostock inzwischen wieder auf die verschiedenfarbigen Socken zurück, die Bertlmann in Wien trägt.
In seinen nächsten Experimenten will er Atome so anregen, dass sie verschieden farbige Lichtteilchen aussenden. Ist eines dieser Photonen blau, müsste das in die entgegengesetzte Richtung davonschießende Lichtteilchen rot sein. Das hat sich garantiert kein Geheimdienst träumen lassen, dass man eines Tages Spionen mit Hilfe von verschieden farbigen Socken das Handwerk legen könnte.