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Quasi-Dogma im Bereich der katholischen Kirche?

Von Bruno Primetshofer

Gastkommentare
Bruno Primetshofer ist Mitglied des Redemptoristenordens und emeritierter Ordinarius für Kirchenrecht an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien.

Eines der heißen Eisen, die gegenwärtig die Diskussion in der katholischen Kirche beherrschen, ist die Frage der Unauflöslichkeit der Ehe.


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Der rechtliche Umfang der Unauflöslichkeit der Ehe ist in seinen bisweilen rabulistischen Verästelungen für viele kaum noch nachvollziehbar, und der als (Straf-)Folge für wiederverheiratete Geschiedene festgelegte Ausschluss von den Sakramenten (Buße, Eucharistie, Krankensalbung) wird in der pastoralen Praxis ohnedies weitgehend umgangen.

Dagegen aber steht die Meinung, dass sich das kirchliche Lehramt bereits derart festgelegt habe, dass eine Änderung nicht einmal durch einen päpstlichen Hoheitsakt oder durch ein Ökumenisches Konzil vorgenommen werden könne. Im Ergebnis wird also davon ausgegangen, dass eine dogmatische Fixierung vorliege, obwohl niemals eine expressis verbis vorgenommene Dogmatisierung durch einen Hoheitsakt des unfehlbaren Lehramtes (Papst oder Ökumenisches Konzil) erfolgt ist.

Ist also im Bereich der katholischen Kirche allmählich eine Art von "Quasi-Dogma" mit dem Ergebnis der Unabänderlichkeit entstanden? Sind die in Rede stehenden Aussagen des päpstlichen Lehramts zu einer solchen "Dichte" angewachsen, dass sie, ohne formal den Rang eines Dogmas innezuhaben, dennoch unabänderlich sind? Verschanzt sich die Kirche mit dieser Auffassung einmal mehr hinter einen Wall, den es in Wirklichkeit gar nicht gibt?

Es gibt Beispiele für eine durchaus relative Bedeutung von Aussagen des päpstlichen Lehramts: Papst Paul VI. hat in der Enzyklika "Humanae vitae" (1968) strenge Richtlinien bezüglich ehelicher Geschlechtlichkeit festgelegt. Demnach sei jeder vom Menschen vorgenommene Eingriff in die Zeugungskraft sündhaft; einzige Form erlaubter Empfängnisregelung sei die sogenannte periodische Enthaltsamkeit. Das hat für unzählige Betroffene zu schweren Gewissenskonflikten geführt.

Die Enzyklika ist, was die Anforderungen an die Gestaltung ehelicher Geschlechtlichkeit betrifft, unzumutbar und wurde demzufolge von der Gesamtkirche nie angenommen.

Daraus ist ersichtlich, dass die Kirche in ihrer Praxis von nicht als Dogma fixierten Äußerungen abgerückt ist oder sie zumindest erheblich relativiert hat. Wenn die Kirchenleitung behauptet, sie habe in Bezug auf die Unauflöslichkeit der Ehe keine Vollmacht, so konstruiert sie damit eine ihr gleichsam vorgegebene, aber nicht wirklich vorhandene Beschränkung. Das Nichtanerkennen einer vorhandenen kirchlichen Vollmacht, einer Lösegewalt, bedeutet, dass die Kirche ihrer Hirtenaufgabe nicht in vollem Umfang gerecht wird. Es gibt einfach kein im Lauf der Zeit sozusagen herangewachsenes "Quasi-Dogma", es ist im Gegenteil zumindest in Teilbereichen eine Bewusstseinsbildung im Bereich der Kirche festzustellen, die mutig auch bisherige Tabuthemen aufgreift und sich auf den tatsächlichen Umfang eigener Vollmacht besinnt. Was den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen anlangt, so muss sich die Kirche die ernsthafte Frage gefallen lassen, ob sie nicht unbarmherzig ist und unerträgliche Lasten zusammenschnürt! Schon vor Jahrzehnten sagte der Innsbrucker Kanonist Gommenginger sinngemäß: Vielleicht kann die Kirche alle Ehen auflösen, aber weiß es noch nicht?